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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christophe André
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Symptome um jeden Preis zu beseitigen, manchmal ineffizient, unnötig, wenn nicht sogar kontraproduktiv für das allgemeine Wohlergehen des Patienten war. Die Versuchung, rasch zu handeln, um dem Patienten zu helfen, indem ich Psychopharmaka verschrieb, passende Ratschläge gab, die ihn aus der Klemme befreien sollten, oder eine beruhigende, aber übereilte Interpretation vornahm – um mich selbst zu beruhigen? –, brachte sehr oft keine überzeugenden Ergebnisse, oder diese waren nur von kurzer Dauer. Im Extremfall tauchten manchmal andere, komplexere Probleme auf.
    Ãœberdies entwickelten bestimmte Patienten eine Abhängigkeit von den Medikamenten oder von mir als Therapeuten. Sie erwarteten, dass ich ihr Problem regelte, blieben aber selbst passiv und suchten nicht nach Mitteln für eine Lösung. Obwohl sie Hilfe bekamen, konnten sie keinen Nutzen aus der Behandlung ziehen und entwickelten sich kaum weiter. Zunehmend erkannte ich, dass ich, indem ich diesen Menschen ihr Unglück nahm, ihnen zwar Erleichterung verschaffte, aber im Gegenzug nahm ich ihnen auch die Verantwortung, denn sie lernten keine neuen Strategien, um sich innerlich zu verändern und weiterzukommen. Statt ihnen aufmerksam zuzuhören, statt ihre Gedanken umzuformulieren und ihnen die Folgen ihrer Handlungen bewusst zu machen, damit sie über sich selbst nachdachten, sich entdeckten, sich kennenlernten und ihre eigene Identität fanden, war ich darauf konzentriert, was ich ihnen vorschlagen konnte, um ihnen ihr Unglück abzunehmen. Letztlich war es so, als würde ich an ihrer Stelle denken und handeln.
    Wie kann man bei einem anderen mit Fingerspitzengefühl und Umsicht intervenieren?
    Mir dessen bewusst zu werden hat auch meine Auffassung der Beziehung zu anderen generell beeinflusst: Ich habe verstanden und akzeptiert, dass systematisches Handeln, um das Leid eines anderen zu mindern, keine so günstige Einstellung ist, wie man meinen könnte. Selbstverständlich heißt das nicht, dass man jemanden der Verzweiflung oder dem emotionalen und psychischen Leid überlassen sollte, ohne zu reagieren. Es geht darum, das rechte Maß zu finden: die achtsame Einstellung, die erlaubt, mit Fingerspitzengefühl zu intervenieren, ohne für den anderen zu handeln, aber ihn auch nicht durch Schweigen und Distanz in der Verzweiflung versinken zu lassen.
    Dafür ist Zuhören ein unumgänglicher Schritt – ein aufmerksames Zuhören, das dem Patienten gestattet, ohne Scheu zu reden, sich beim Sprechen zuzuhören, sich bewusst zu machen, was er äußert, und es in sich aufzunehmen. Das ist sehr wohl möglich, aber nur ohne Eile, indem man sich Zeit nimmt, dem Patienten zuzuhören, bevor man aktiv wird, um ihn zu leiten, während er seinen Weg sucht, und ihn begleitet, damit er sich verwirklicht.
    Es ist manchmal viel nützlicher, sich die Zeit zu nehmen zuzuhören, als zu handeln.
    Um eine Lösung für ein Problem zu finden, ist es manchmal viel nützlicher, sich die Zeit zu nehmen zuzuhören, als zu handeln. Wenn wir den anderen vor jedem inneren Unglück schützen, wenn wir ihm jedes Leid abnehmen wollen, ersticken wir manchmal seine verborgenen und verkannten Wünsche. Wenn wir an seiner Stelle handeln, weigern wir uns, seine Emotionen zu teilen und ihn als vollwertig zu betrachten. So entstehen zahlreiche Beziehungsprobleme aus diesem Wunsch, dem anderen unnötiges Leiden abzunehmen und zu ersparen. Ich möchte hier erläutern, wie dieses im Alltag häufig anzutreffende Verhalten zu solchen Beziehungsproblemen führt, auch wenn es ursprünglich von dem Willen motiviert ist, die Beziehung zu einem anderen zu verbessern.
    Sind unsere gewohnten Einstellungen so hilfreich, wie wir glauben?
    Schweigen, wenn das Reden Befreiung bringen könnte
    Regelmäßig erlebe ich in der Therapie Patienten, die es nicht wagen, die Unzufriedenheit, die sie in ihrer Beziehung erleben, zu äußern, aus Angst, ihren Ehepartner zu verletzen. Andere verschweigen ihren Kindern die Misshandlungen, die ihnen in ihrer eigenen Kindheit widerfahren sind, um sie nicht zu beunruhigen. Wieder andere decken die Fehler eines Angehörigen, um die Familie zu schützen, und dergleichen mehr. Dieses Verhalten hat immer ein und dasselbe Ziel: etwas tun, um eine bereits kritische Situation nicht zu verschlimmern. Doch lügen, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden, schlimme

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