Die Geheimnisse der Therapeuten
Mittel, das den Schmerz dämpft, das ihm schnell Linderung bringt. Wir denken dann sofort an ein Medikament, das auf den Organismus wirkt, oder an eine Handlung, die das Problem löst. Aber die depressive Regung, die einen Trauernden begleitet, ist notwendig, damit er den Verlust verinnerlicht und verarbeitet. Ihm dies durch eine Behandlung ersparen zu wollen ist nicht wünschenswert. Wie könnten wir unsere Bindung und die Bedeutung des Verstorbenen würdigen, wenn wir keine Trauer bei seinem Tod empfinden? Wenn uns überdies der Gedanke beschäftigt, den Leidenden möglichst schnell vom Schmerz zu befreien, laufen wir Gefahr, uns nicht die notwendige Zeit zu nehmen, um ihm zuzuhören.
Das Leid des anderen würdigen
Es ist nicht immer hilfreich, aktiv zu werden, um das Negative aufzuheben, insbesondere wenn der Betroffene selbst dieses Bedürfnis nicht äuÃert. Sehr oft will er nur das, was er erlebt hat, zum Ausdruck bringen, sein Leid in Worte fassen; er will einfach nur gehört und beachtet werden und seine Emotionen mitteilen. Manchmal möchte er ein paar Ratschläge, möchte getröstet und ermutigt werden, aber ohne dass ihm ein Dritter durch sein Eingreifen seine Emotionen nimmt.
Mitfühlendes Zuhören heiÃt auch, dass wir uns erlauben zu sagen, was wir empfinden.
Das Wichtige ist nicht immer, rasch zu handeln, um sofort zu helfen, sondern das Leid des anderen zu würdigen, ihn als einzigartig zu betrachten, sich klarzumachen, durch was er hindurchgeht, ihm mit Empathie zuzuhören und herauszufinden, was er wirklich will. Man muss seine Schwäche, sein Tempo, seine Veränderungsmöglichkeiten, seinen Willen respektieren, selbst wenn dieser sich manchmal unseren wohlwollenden Wünschen widersetzt. Man kann ihm seine Grenzen, die Folgen seiner Handlungen, die Kluft zwischen dem, was er sich wünscht, und dem, wozu er im Augenblick in der Lage ist, vor Augen führen, aber man sollte ihm die Verantwortung überlassen, denn er allein bestimmt über sein Leben, er allein weià wirklich, was er innerlich erlebt und was für ihn richtig ist. Mitfühlendes Zuhören heiÃt auch, dass wir uns erlauben zu sagen, was wir empfinden, und die emotionale Wirkung der Situation auf uns zum Ausdruck zu bringen. So kann eine tatsächliche Begegnung stattfinden.
Die Wünsche des anderen realisieren und antizipieren, damit es ihm an nichts fehlt
Sehr oft sind der Mangel, der durch einen noch nicht realisierten Wunsch entsteht, und das innere Unglück, das damit einhergeht, beunruhigend, ein wenig so, als wäre es nicht vorstellbar und ungerecht, nicht das zu bekommen, was man sich wünscht. Also bemühen wir uns, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um den Menschen, die wir lieben, das zu geben, was ihnen fehlt, und ihnen eine Freude zu machen. Es ist, als ob die uns nahestehenden Menschen nicht die Frustration kennenlernen dürften, die sich einstellt, wenn man das, was man sich wünscht, nicht erreicht. Einige Menschen antizipieren, erraten und sehen daher voraus, was zu tun ist, damit ihre Angehörigen wunschlos glücklich sind und es ihnen an nichts fehlt. Doch niemand kann unsere Gedanken lesen und unsere Wünsche erraten.
Die Wünsche eines anderen vorwegzunehmen läuft darauf hinaus, ihm nicht zuzuhören.
Wenn beispielsweise Eltern ihren Kindern die Wünsche von den Lippen ablesen, entwickeln Letztere keine eigenständige Persönlichkeit gegenüber ihren Eltern und werden total abhängig von ihnen. Es besteht die Gefahr, dass das von Geschenken überhäufte Kind keine eigenen Wünsche mehr hat oder in der passiven Erwartung verharrt, dass seine Eltern für es entscheiden und erraten, was es will. Neben dem Verlust der kreativen Anstrengung, die durch einen Mangelzustand ausgelöst wird und durch die das Kind sich verwirklichen könnte, lässt die prinzipielle Erfüllung der Wünsche in einer Beziehung die Illusion eines vollkommenen gegenseitigen Verständnisses entstehen, die am Ende das echte Gespräch einschränkt. »Warum sollten wir miteinander reden, wenn du schon alles von mir weiÃt?«, könnte man die Situation zusammenfassen. Die Wünsche eines anderen vorwegzunehmen läuft darauf hinaus, ihm nicht zuzuhören und seiner psychischen Realität nicht Rechnung zu tragen. Erraten, was jemand will, für ihn zu glauben und zu denken heiÃt, ihn zu negieren,
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