Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
Milchshake oder traf sich mit den Carrillos, aber die übrige Zeit sah man Tag für Tag immer nur dieselben Leute. Doch obwohl die Vierte-Juli-Parade vorbei war, hatte der scheinbar endlose Strom von Gesichtern hier in Liberty immer noch etwas von einer Parade: Kinder, Erwachsene und Alte, die lachten, tranken, aßen und Nachbarn und Freunde über die Hauptstraße hinweg lauthals begrüßten.
»Onkel Jaime«, sagte Alma, »geh mit uns zum Nordpol! Bitte!«
»Ihr habt doch gerade erst gegessen«, entgegnete er. »Und Nachtisch hattet ihr auch.«
»Bitte. Ich will Pfefferminz-Schoko«, sagte sie, und da wurde Tyler klar, dass sie von einer Eisdiele redete.
Als sie schließlich den Park erreichten, lutschten sie gerade noch das letzte geschmolzene Eis durch die Waffelspitzen. |140| Carmen rief ihren Vater an, der mitzuteilen hatte, dass es Gideon schon viel besser ging und dass er sich verständlich äußern konnte, allerdings immer noch keine Erinnerungen daran hatte, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Die Ärzte, meinte er, führten seinen Zustand auf einen Hitzschlag zurück.
Tyler fand das alles gut und schön, aber es erklärte nicht, wo der alte Mann fast eine Woche lang gewesen war.
Es wurde allmählich dunkel, und immer noch strömten die Leute in den Park. Carmen, Alma und Steve gingen sich etwas zu trinken holen. Ihr Onkel Jaime hatte sich einen Becher Bier besorgt, saß vergnügt trinkend im Gras und unterhielt sich mit einer Frau, die er zu kennen schien. Lucinda beugte sich zu Tyler herüber. »Guck mal, was Gideon in der Hand hatte«, sagte sie und hielt ihm etwas hin. Tyler besah sich die dunklen Fasern, die in dem schwindenden Licht schwer zu erkennen waren.
»Was ist das?«
»Keine Ahnung. Von irgendeiner Pflanze, glaube ich. Er hielt sie fest, als wären sie irgendwie wichtig.«
Tyler zuckte die Achseln. »Aber was hat ihn so wirr im Kopf gemacht? Das ist doch die eigentliche Frage …«
Lucinda hörte ihm nicht mehr zu. Mit Augen so groß wie der Silberdollar auf Jaimes Gürtelschnalle starrte sie ihm über die Schulter.
»Tyler! Das ist er!«
»Wer? Wen meinst du?« Er rechnete halb damit, Gideon mit wehendem Bademantel über den Rasen auf sie zulaufen zu sehen, verfolgt von Ärzten und Schwestern, erblickte aber nur einen bunten Haufen Menschen, die gemütlich am Rand der Wiese standen und saßen und auf das Feuerwerk warteten. »Ich weiß nicht –«
»Dort.« Sie schmiegte sich dicht an ihn. »Nicht auffällig |141| starren, nicht deuten. Dort am Brunnen. Das ist dieser Kingaree.«
Tyler hatte ihn natürlich noch nie gesehen, aber Lucindas Beschreibung, dass er wie der Schurke in einem Western aussah, war ihm im Gedächtnis geblieben, daher hatte er keinen Zweifel, wen sie meinte. Der lange, dünne Mann in dem schwarzen Mantel – ein merkwürdiger Aufzug bei diesem Sommerwetter, selbst am Abend – unterhielt sich mit einem modern gekleideten pausbackigen Mann in einem beigen Sportsakko. Während Tyler hinschaute, sah sich der Mantelträger um, als befürchtete er, belauscht zu werden, dann fasste er den Mann im Sportsakko am Ellbogen und schob ihn zu einer offenen Laube in einer Ecke des Parks.
»Sie gehen zu dem Pavillon da drüben«, sagte Tyler und sprang auf. »Komm mit, wir gehen hinten rum durch die Bäume auf der andern Seite. Dann können wir hören, was sie reden.«
»Was? Spinnst du?« Lucinda wich von ihm zurück. »Ich gehe nicht in die Nähe von diesem Kerl!«
»Und wenn er es war, der Gideon entführt hatte? Wenn er gerade nach ihm sucht?« Tyler konnte es nicht fassen, dass seine Schwester ihm in so einem Moment mit Mädchengezicke kommen konnte. »Mach schon!«
Während er ihr voraus um die Wiese herumging, vorbei an den ganzen Leuten, die auf Decken saßen und erwartungsvoll zum Himmel aufschauten, versuchte sie immer noch, ihn von seiner Idee abzubringen. »Was ist mit Carmen und den andern? Und mit Jaime? Sollten wir ihnen nicht Bescheid sagen?«
»Wir gehen doch bloß hier im Park auf die andere Seite. Hör mal auf, das Kleinkind zu spielen, Luce!«
Er flitzte vor ihr zwischen den Bäumen hindurch und über einen niedrigen Lattenzaun, bis die Laube nur noch wenige |142| Meter entfernt war. Lucinda guckte absolut unglücklich, deshalb verzichtete Tyler darauf, auf den Baum zu klettern, obwohl er sich dort oben auf einem Ast bis direkt über das Laubendach hätte schieben können. Stattdessen schlich er möglichst nahe heran – aber so, dass er bei
Weitere Kostenlose Bücher