Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
bekommt?«
Mit einem Schnauben drehte Walkwell sich um und setzte sich Richtung Tinkerfarm in Bewegung. »Dann muss ich die Zäune wieder sichern, bevor … bevor sonst etwas passiert.« Lucinda vermutete, dass er die Stiefel ausziehen würde, sobald er außer Sicht war. Auf seinen blanken Hufen konnte er schnell wie der Wind rennen.
|137| Mr. Carrillo hatte derweil nachdenklich Lucinda angeschaut. Jetzt wandte er sich mit einem harten Lächeln der Haushälterin zu. »Na schön, Sie können mit uns zum Krankenhaus kommen, Mrs. Needle. Aber dann werden wir mehr als ein Auto brauchen. Da können wir auch gleich alle Kinder mitnehmen, die können sich dann das Feuerwerk in Liberty ansehen.« Er drehte sich zu seiner Frau um. »Silvia, wo ist dein Bruder? Ah, da.« Er winkte einem Mann mit Bart, dessen Tätowierungen Tyler zuvor schon bewundert hatte. »Jaime, du bist mit dem Van da, nicht wahr? Nimm du die Kinder und fahr hinter mir her.«
Ragnar und Walkwell hatten sich derweil leise unterhalten. »Ich komme auch mit, Hector«, sagte der Nordmann. »Simos wird nach Hause fahren und schauen, ob dort alles in Ordnung ist, weil er nicht so gern im Auto fährt.«
»Wo kann er gewesen sein?«, schrie Tyler Lucinda über den Lärm von Jaimes Stereoanlage zu, aus der ihm völlig unbekannte mexikanische Heavy-Metal-Musik dröhnte. »Wir haben doch überall gesucht. Meinst du, Gideon war in … du weißt schon … der Verwerfungsspalte?« Wenn er sich selbst kaum hören konnte, sagte er sich, war die Gefahr bestimmt nicht sehr groß, dass Jaime ihr Gespräch vom Fahrersitz aus belauschte. »Ich frage mich, was Mrs. Needle darüber weiß. Ich wette, sie und Colin hatten ihn irgendwie betäubt. Mit Drogen oder so.«
Lucinda sah ihn stirnrunzelnd an. »Das stimmt nicht!«, rief sie. »Colin war genauso überrascht wie wir. Ich habe ihn beobachtet.«
Tyler hatte seine Zweifel; seiner Meinung nach war Lucinda mit Colin Needle sowieso viel zu nachsichtig. »Wenn er so geschockt |138| ist, warum ist er dann nicht hier? Warum kommt er nicht mit ins Krankenhaus?«
Lucinda tippte sich an den Kopf. »Macht er doch! Er sitzt bei Mr. Carrillo im Wagen.«
Tyler schnitt eine Grimasse. »Ach, er ist sich wohl zu fein, um mit uns mitzufahren, was?«
Seine Schwester funkelte ihn böse an. »Du bist voll der Abspacker, Tyler Jenkins«, sagte sie. Was natürlich total ungerecht war.
Das Städtchen Liberty war so was wie Standard Valley in groß, dachte sich Tyler. Nicht dass an Liberty viel dran war – es war deutlich kleiner als die Stadt, aus der Tyler und Lucinda kamen –, aber es war groß genug, um zum Vierten Juli eine Parade zu machen, die eben zu Ende ging, und um eine Feuerwache, mehrere Schulen und ein Kino zu haben, im Gegensatz zu Standard Valley. Dies alles erspähte Tyler, während Jaime hinter Mr. Carrillo her durch die Stadt zur Klinik fuhr, einem typischen Zweckgebäude mit rotem Ziegeldach, das auch als Fastfood-Restaurant hätte durchgehen können, wenn es etwas kleiner gewesen wäre.
Hector Carrillo und seine Mitfahrer saßen bereits im Wartezimmer der Notaufnahme, als sie eintraten.
»Meine Mutter füllt die Formulare aus«, sagte Colin. »Sie hat die ganzen Informationen, Versicherung und so weiter.«
»Ihr seid versichert?« Es war Tyler schleierhaft, wie Leute aus der Vergangenheit das hingekriegt hatten, ohne Geburtsurkunden oder was normale Leute sonst dafür brauchten.
Colin bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick.
»Gideon
ist versichert.«
Mr. Carrillo kam zu ihnen. »Wie wär’s, wenn ihr Kinder |139| losgeht und euch ein bisschen die Stadt anguckt? Jaime, sei so gut und geh mit ihnen, ja? Es wird bald dunkel, und im Park gibt es dann ein Feuerwerk. Carmen, hast du dein Handy mit?«
»Hab ich, Papacito.«
»Gut. Ruf mich in ungefähr einer Stunde an.«
Mit sehr ernster Miene brachte Ragnar sie zur Tür. »Keine Bange, Kinder. Gideon wird bestimmt wieder gesund. Dafür werde ich sorgen.« Tyler hoffte im Interesse der Ärzte, dass sie den Hünen nicht mit etwas erzürnten.
Sie spazierten mit Jaime in die Stadtmitte zurück. Tyler hatte ganz vergessen, wie es sich anfühlte, unter so vielen Menschen zu sein, oder wenigstens unter so vielen Menschen, die er nicht kannte. Draußen auf der Tinkerfarm lebte es sich ein bisschen wie auf einem Schiff auf dem Meer, in diesem Fall einem Felder- und Wiesenmeer. Ab und zu fuhr man mit dem Rettungsboot nach Standard Valley und trank im Lokal einen
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