Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
die Felder dort hinten.«
Über dem Stimmengewirr hörte Tyler in der Ferne noch etwas anderes, einen dünnen, hohen Schrei. Colin, der Gideon nur mit offenem Mund angeglotzt hatte, sah auf und schüttelte den Kopf wie einer, der zu schnell erwachte. »Moment mal, da ist ja meine
Mutter!«
Und tatsächlich kam noch eine zweite Gestalt halb gehend, halb laufend über die Felder auf das Haus der Carrillos zu: Patience Needle in ihrem altmodischen Kleid. Sie fuchtelte mit den Armen und schrie: »Rührt ihn nicht an!« Soweit Tyler sich erinnern konnte, hatte er noch nie gehört, dass die Hexe die Stimme erhob. »Nicht!«, rief sie, während sie auf die Menschenansammlung zueilte. »Ihr müsst ihn in Ruhe lassen!«
Gideon war nicht nur blass, sondern beinahe grün, Schweiß stand ihm auf der Stirn. »Will nicht«, sagte er unvermittelt und fuhr von der Flasche zurück, so dass ihm Wasser auf die Brust spritzte. Er versuchte, Lucinda am Arm zu packen, aber obwohl seine Augen weit aufgerissen waren, schien er nichts zu sehen, und seine Hände zuckten unkontrolliert. »Will nicht … zurück …«
»Wohin zurück, Gideon?«, fragte Ragnar. »Wo bist du gewesen?«
Aber der alte Mann war völlig in seiner eigenen Welt gefangen, rollte den Kopf von einer Seite zur anderen und versuchte dabei aufzustehen. »Du kannst mich nicht …!«, sagte er und schlug nach den Händen, die ihn halten wollten. »Lass mich los, du verdammtes …
Monster!«
|135| »Wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen«, sagte Hector Carrillo.
»Nein!«,
kreischte Mrs. Needle geradezu. Sie kam angewankt, kniete sich neben Gideon und hielt mit einer Hand seinen Kopf, während sie mit der anderen sein Handgelenk und seine Stirn befühlte. »Kein Krankenhaus! Er wird sich wieder erholen. Ich weiß, wie ihm zu helfen ist. Wir müssen ihn nur zurück auf die Farm schaffen. Ich habe dort Medikamente … besondere Mittel …«
»Sie sind von Sinnen, wenn Sie meinen, ich lasse zu, dass Sie diesen Mann – diesen
kranken
Mann – hier wegbringen, bevor er von einem Arzt untersucht wurde.« Mr. Carrillo stand auf. »Ragnar, Simos, setzt ihn in meinen Wagen.«
»Sollten wir nicht die Sanitäter rufen, Papa?«, fragte seine Tochter Carmen.
»Ich kann ihn in zwanzig, fünfundzwanzig Minuten nach Liberty in die Klinik bringen«, erklärte ihr Vater. »Bis die Sanitäter hier sind, dauert es mindestens so lange.«
Mrs. Needle durchbohrte ihn mit einem Blick, der Farbe zum Abblättern gebracht hätte, aber Mr. Carrillo starrte einfach mit ruhiger Autorität zurück; Tyler war schwer beeindruckt. »Dann fahre ich mit«, sagte sie schließlich. »Ich habe ihn über die Farm irren sehen und bin ihm den ganzen Weg nachgelaufen. Ich werde ihm nicht von der Seite weichen.«
»Lassen Sie das nicht zu!«
Tyler sah Lucinda verwundert an. »Luce?«
Aber seine Schwester zog bereits Mr. Carrillo am Arm. »Lassen Sie das nicht zu. Ich wette, sie war es, die ihm das angetan hat. Sie hat ihm irgendwas gegeben … einen Trank oder so. Und sie hat wahrscheinlich auch dafür gesorgt, dass Gideon Sie nicht zurückgerufen hat. Wahrscheinlich hat sie ihm |136| Ihre Anrufe nicht mal ausgerichtet – so hat sie es voriges Jahr mit uns gemacht.«
»Wie kannst du es wagen!« Mrs. Needle wurde kalkweiß im Gesicht, stand auf und baute sich mit derart wütender Miene vor Lucinda auf, dass selbst Mr. Carrillo einen Schritt zurücktrat. »Wie kannst du es wagen, vor Fremden solche Reden zu führen, Lucinda Jenkins? Wie abscheulich, so etwas zu sagen!«
»Das sind keine Fremden für uns! Das sind unsere Freunde!« Seine Schwester blickte bang, aber entschlossen. Tyler war richtig stolz auf sie.
»Gib’s ihnen, Schwesterherz«, sagte er.
Patience Needle hielt den Blick noch einen Moment auf Lucinda gerichtet, dann wandte sie sich mit einem Gesicht, aus dem jede Spur von Zorn getilgt war, an Mr. und Mrs. Carrillo. »Alle haben sich Sorgen um Gideon gemacht. Tagelang wusste niemand, wo er war. Sie sehen ja, wie aufgeregt wir alle sind. Ich bin seit Jahren so etwas wie seine Ärztin. Bitte nehmen Sie die Worte eines verwirrten Kindes nicht zu ernst und lassen Sie mich mitfahren.«
»Aber wie hat Gideon die Sicherheitsanlagen überwinden können?«, warf Walkwell ein.
»Ich habe natürlich den Strom abgestellt, als ich ihn wie von Sinnen darauf zustolpern sah«, erwiderte Mrs. Needle steif. »Meinst du, ich würde es zulassen, dass unser Arbeitgeber einen tödlichen Schlag versetzt
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