Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
vor dem langen Kopf zur Seite warf. Das kupferrote Ungeheuer sauste vorbei, flog eine Kurve und schoss wieder auf ihn zu, wobei kleine Flammen fahnenartig aus seinem offenen Maul flatterten. Hektisch versuchte Tyler, von dem Nest herunterzukommen, doch in diesem Augenblick gab es unter ihm nach, er brach ein und stürzte zurück in das Wirrwarr aus Ästen und Altmetall.
|169|
18
DER ENGEL MIT DEM FEUERSCHWERT
J etzt, da Gideon unten im Schlangenzimmer einquartiert war, schlich sich das Hauspersonal, das sich über die Heimkehr des Hausherrn freute, immer wieder mal auf Zehenspitzen hinein, um nach ihm zu sehen, doch als Lucinda ihn erblickte, war sie richtig erschüttert. Ihr Großonkel saß aufrecht da und löffelte Brühe, aber er wirkte irgendwie komisch, sie wusste gar nicht genau, warum. Es war ganz offensichtlich Gideon Goldring, und er war durchaus in der Lage zu sprechen – sie hörte ihn Pema anknurren, als diese aus Nervosität ein paar Tropfen Wasser auf ihn schüttete –, doch seine Augen waren blutunterlaufen und lagen tief in den Höhlen, und er blickte fast alle, die in seine Nähe kamen, mit einem Ausdruck an, als verdächtigte er sie, ihm etwas tun zu wollen. Ja, |170| erkannte sie, das war es: Onkel Gideon glich einem seiner unangenehmeren Tiere, das aus seinem Gefängniskäfig heraus seine Wärter anstarrte.
Mrs. Needle allerdings schien der Meinung zu sein, dass alles so war, wie es sich gehörte, und in der Tat machte er bei ihr nicht so ein Gesicht, sondern sah vertrauensvoll zu ihr auf wie ein Kind. Ja, wenn er seine Brühe schlürfte oder Wasser trank, ermunterte sie ihn sogar auf eine Art, von der Lucinda richtig übel wurde. Sie fragte sich, ob Gideon einen Schlaganfall gehabt hatte oder sonst etwas wirklich Schlimmes, aber niemand gab ihr Auskunft.
Komisch,
dachte sie.
Wenn sie die Sache vor uns verheimlichen wollten, dann hätten sie sein Schlafzimmer nicht nach unten verlegen dürfen, wo wir ihn ständig vor Augen haben.
»Wo willst du hin?«, fragte Mrs. Needle scharf, als Lucinda sich zur Tür stahl. »Du könntest mir mit etwas behilflich sein.«
Das Letzte, was Lucinda wollte, war, den Tag in diesem Zimmer unter den kalten, wachsamen Augen von Patience Needle zu verbringen. »Ach, ich bin gleich wieder da«, sagte sie. »Ich wollte nur … nur im Garten ein paar Blumen pflücken. Damit das Zimmer ein bisschen freundlicher wird.«
»Der Garten«, sagte Gideon nickend, den Blick auf nichts Bestimmtes gerichtet. »Früher, da haben wir im Garten gelebt.«
»Hm?« Lucinda trat einen Schritt zurück. »Was hast du gesagt, Onkel Gideon?«
»Der Garten.« Ihr Großonkel sprach wie in einer ganz normalen Unterhaltung, doch seine nächsten Worte zeigten, dass der Eindruck täuschte. »Wir mussten fort. Engel … ein Engel verjagte uns. Mit einem flammenden Schwert. Du hast ihn gesehen, nicht wahr? Oder war es die Schlange …?«
|171| »Schon gut, Gideon, du bist verwirrt.« Diese Bemerkung von Mrs. Needle war wohl ein wenig untertrieben. »Komm, iss deine Brühe auf.«
Plötzlich schien der alte Mann Lucinda zum ersten Mal wahrzunehmen. Er beugte sich vor, die Finger ausgestreckt, als wollte er sie fassen, doch sie war außer seiner Reichweite. »Aber hör doch zu!« Er blickte sich um, als fürchtete er heimliche Lauscher, dann richtete er seine stieren roten Augen abermals auf Lucinda. »Wir können zurück. Jawohl! Wir können uns an dem Engel vorbeischleichen und wieder zurück in den schönen Garten gelangen.«
Lucinda hielt es nicht aus, sich sein wirres Gefasel noch länger anzuhören. Sie drehte sich um und rannte fast zur Tür hinaus.
Ich weiß, dass er nicht diesen Ort hier gemeint hat, nicht diesen Garten,
dachte Lucinda, während sie an den Beeten entlangging.
Aber diese Ecke der Farm ist mir trotzdem manchmal richtig unheimlich.
Hinter der kleinen Anhöhe, auf der das Haus stand oder wenigstens der Hauptteil des Hauses, erstreckte sich der riesige Garten über eine Fläche von der Größe eines kompletten Häuserblocks. Das meiste davon war verwildert und unbestellt, nur Mrs. Needles Kräutergarten und Sarahs Gemüsegarten in der Nähe der Küche machten einen bewirtschafteten Eindruck. Die übrigen Flächen sahen mit ihren ins Kraut schießenden Pflanzen, überwachsenen Wegen, rankenumschlungenen Lauben und dem fast völlig zugewucherten rostzerfressenen Treibhaus eher wie die Trümmerstätte einer untergegangenen Kultur aus, die sich der Urwald
Weitere Kostenlose Bücher