Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
grässlicher, böser Junge«, hörte sie Mrs. Needle sagen.
»Wenn hier einer böse ist, dann Ihr Sohn!« Tyler schrie beinahe. »Er hat versucht, mich zu töten – wenigstens hat er mich dem sicheren Tod überlassen.«
|192| Lucinda wandte ihren schweren Kopf von Gideon ab und sah, dass Colin Needle gerade mit weit aufgerissenen Augen und schreckensbleich im Gesicht hinter dem Küchenpersonal erschienen war. Was Tyler sagte, musste ihn ganz aus der Fassung bringen, obwohl Lucinda nicht recht schlau daraus wurde. Ehrlich gesagt konnte sie sich kaum erinnern, wo sie war.
Was ist bloß los mit mir?
»Wie alle hier wissen, geht es Gideon nicht gut, und ich pflege ihn«, verkündete Mrs. Needle laut. »Willst du, dass ich hinausgehe, Gideon? Du musst es nur sagen, und ich gehe. Gideon? Willst du, dass ich gehe?« Es dauerte, bis sie die Aufmerksamkeit des Alten bekam. Er sah sie eine Weile zweifelnd an, dann schüttelte er den Kopf. »Da. Seht ihr?«
»Das … das ist …!« Tyler verschlug es die Sprache.
»Wenn du nicht mehr vorzubringen hast als diese grausigen Anschuldigungen, dann verlass jetzt bitte dieses Zimmer und lass deinen Großonkel ruhen«, sagte Mrs. Needle streng. »Über dein … absonderliches Verhalten werden wir ein andermal reden.«
»Kommt gar nicht in Frage! Ich hätte sterben können! Ich war in Alamus Nest, und dann ist der Drache zurückgekommen! Colin hat mich im Stich gelassen! Nur damit er sich das Kontinuaskop unter den Nagel reißen konnte!«
Die Frauen in der Tür stießen Schreckenslaute aus. Lucinda konnte Colin nicht mehr sehen. War er weggelaufen? Stimmte das, was ihr Bruder da sagte?
»Ach ja, das Kontinuaskop? Das schon verschollen war, bevor Colin überhaupt auf die Welt kam?« Mrs. Needle sah aus, als wollte sie sich vor Gideon werfen, um ihn vor Tyler zu schützen. »Und womit willst du diese absurde Beschuldigung beweisen?« Sie blickte auf. »Wo ist Colin?«
|193| »Wahrscheinlich weggerannt, um das Beweisstück zu verstecken«, sagte Tyler.
Mrs. Needle war so blass und ihr Gesicht so zornig, dass sie wie ein Rachegeist aussah. »Mit anderen Worten, du hast gar keinen Beweis.«
Auf einmal richtete sich Gideon im Bett auf, und sein Gesicht zuckte vor gereizter Verwirrung. »Was ist hier los? Was soll das?«
Da wichen die Frauen zur Seite und Ragnar betrat das Zimmer, breit wie ein Baum und seinerseits sichtlich nicht in bester Laune.
»Gideon«, sagte der Nordmann mit dröhnender Stimme, »Hector Carrillo ist wieder draußen am Tor.«
»Schick ihn fort«, sagte Mrs. Needle rasch.
»Schick ihn fort«, kam das Echo von Gideon, aber in unbeteiligtem Ton.
Ragnar schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht schon wieder. Das ist eine Ehrenpflicht – früher, Gideon Goldring, als du noch ein echter Than warst, wusstest du, was das ist. Carrillo und seine Familie brauchen Auskünfte von dir. Ihnen ist viel Geld geboten worden. Wenn sie an diesen Stillman verkaufen, wird unser Zuhause hier, deine Farm, Gideon, in großer Gefahr sein. Zum Dank für seine Nachbarschaftlichkeit hast du ihn wochenlang ignoriert. Damit ist jetzt Schluss.«
»Was redest du da, du unverschämter Däne?« Mrs. Needle war inzwischen so außer sich vor Wut, dass sie rote Flecken auf den Backen hatte. »Du hast kein Recht …!«
»Um es genauer zu sagen: Hector Carrillo wartet am inneren Tor«, erwiderte Ragnar ruhig. »Ich habe ihn eingelassen, und jetzt ist er da.«
»Am inneren Tor?« Mrs. Needle kreischte beinahe; Lucinda hatte sie noch nie derart aufgebracht erlebt. »Du hast ihn auf |194| das Gelände gelassen? Hast du jetzt dein letztes bisschen Verstand verloren?«
»Vielleicht«, sagte Ragnar. »Aber meine Ehre ist mir teuer. Gideon ist jetzt gesund genug, um mit ihm zu reden. Keine Sorge«, erklärte der Hüne an die anderen gewandt. »Carrillo hat nichts gesehen außer dem Haus – keine Tiere. Aber ich werde ihn nicht wieder unverrichteter Dinge fortschicken.«
Patience Needle wandte sich Gideon Goldring zu. »Hörst du, was dieser Schwachkopf getan hat, Gideon? Er hat Fremde auf unsere Farm geholt, unsere Geheimnisse verraten! Und diese schrecklichen Kinder, die du so großherzig eingeladen hast, haben dich auch hintergangen. Der Junge ist völlig außer Rand und Band, und jetzt hat auch das Mädchen im Garten mit Dingen herumgespielt, von denen sie die Finger zu lassen hat.«
»Das ist gelogen!«, rief Lucinda. Sie versuchte aufzustehen, aber ihr war schwindlig und ihr Kopf fühlte
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