Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
die Kinder fort.« Langsam begann er, sich im weiten Bogen fortzubewegen, um die Aufmerksamkeit des Mantikors von dem alten Pickup abzulenken.
Jetzt regte sich auch Lucinda neben Tyler. »Ich bin krank«, stöhnte sie. »Ich will nach Hause.« Sie hatte offenbar gar nicht mitbekommen, was um sie herum geschah. In dem Moment ging der Mantikor auf Ragnar los, und zwar so blitzschnell, dass Tyler vor Schreck erstarrte. Selbst Ragnar gelang es nur knapp, den Krallen des Ungetüms auszuweichen. Er konnte gerade noch zurückspringen, aber sein Hemd wurde quer über der Brust aufgeschlitzt.
»Fahr, Hector, verdammt noch mal!«, schrie er. »Schaff die Kinder hier fort!«
Doch noch während er das sagte, sprang der Mantikor ihn mit einem eigentümlich schrillen Fauchen an. Ragnar fuhr zurück, doch die Bestie war schneller als er, und obwohl er mit Tylers Messer zustach, ließ sich diese davon nicht aufhalten. Mann und Monster gingen gemeinsam zu Boden, und man sah nur noch ein kämpfendes Knäuel aus Armen und Beinen und peitschendem Schwanz. Kurz darauf erhob sich der Mantikor, |201| aber sein Fauchen war nicht zu hören, weil Mr. Carrillo verzweifelt den abgewürgten Motor anzulassen versuchte, der jedoch nicht ansprang, so sehr der Anlasser auch orgelte.
Der Mantikor umkreiste hinkend Ragnars regungslosen Körper, als wollte er ihn erst begutachten, bevor er ihn fraß. Da sprang endlich der Motor des Pickups an.
Bamm!
Tyler und Mr. Carrillo schrien zu Tode erschrocken auf, als etwas mit einer Wucht auf das Wagendach donnerte, als wäre ein zweites Auto vom Himmel gefallen. Die Windschutzscheibe splitterte und wölbte sich nach innen. Was war das? Tyler wollte schier das Herz stehenbleiben. Ein zweiter Mantikor …?
Ein langer, dünner Hals tauchte vom Dach herab, und direkt vor Lucindas Fenster erschien der Krokodilskopf des Drachen Alamu.
Erst der Mantikor, und jetzt das!,
war alles, was Tyler noch denken konnte, dann riss der Drache das Maul sperrangelweit auf und ließ ein ohrenbetäubendes Gebrüll hören. Lucinda wachte auf, warf einen Blick aus dem Fenster und fing an zu kreischen. Mr. Carrillo schrie etwas auf Spanisch, das Tyler nicht verstand.
Der Drache sprang vom Wagendach und landete mit einem solchen Rums auf dem Boden, dass die steinharte Erde bebte. Im Scheinwerferlicht schillerten Alamus Schuppen wie Goldplättchen, doch er war nicht darauf aus, sich bewundern zu lassen, er duckte sich zum Angriff. Schon breitete er die Flügel aus und warf sich auf den Mantikor.
Alamu sauste mit voller Wucht heran, spannte kurz vor dem Aufprall die Flügel auf und schwang sich in die Luft, wodurch der überrumpelte Mantikor von Ragnars leblosem Körper fortgeschleudert wurde. Im nächsten Moment ließ er sich wieder fallen. Der Mantikor bäumte sich auf, doch da |202| packte der Drache mit seinen langen Klauen den Kopf seines Gegners und zwang diesen nieder. So wild der Mantikor auch um sich schlug und mit dem stacheligen Schwanzende wie mit einem Morgenstern auf den Boden drosch, er konnte nicht entkommen.
»Was wollen diese Biester von uns?«, brüllte Mr. Carrillo. »Wo kommen die überhaupt her?«
»Nicht jetzt!«, wehrte Tyler ab. Er hatte eine solche Angst, dass er sich fast in die Hose machte.
Mr. Carrillo legte endlich den Gang ein, und der Wagen schoss vorwärts. Tyler dachte erst, er wollte durch den Zaun brechen und davonfahren, doch da wirbelte der Wagen herum und raste in einer Staubwolke zu der Stelle zurück, wo die zwei ungeheuerlichen Fabelwesen auf Leben und Tod miteinander kämpften. Carrillo stieg neben Ragnar auf die Bremse, riss die Tür auf und sprang hinaus.
»Hilf mir, ihn reinzuschaffen!«, rief er Tyler zu.
Ungeschützt im Freien erwartete Tyler jede Sekunde den tödlichen Schlag von hinten – er konnte kaum die Tränen der Furcht unterdrücken. Ragnar war schrecklich schwer, aber schließlich hatten er und Mr. Carrillo den gewaltigen Körper auf den Rücksitz gewuchtet. Ragnar stöhnte, seine Augen jedoch blieben geschlossen.
»Fahr!«, kreischte Tyler, während er nach vorn auf den Beifahrersitz sprang. Er blickte sich nach seiner Schwester um. Lucinda sah aus, als wüsste sie nicht, ob sie wach war oder sich in einem Albtraum befand. »Fahr, fahr, fahr!«
Staub wirbelte auf, als der Pickup mit durchdrehenden Rädern anfuhr und um die beiden Bestien herumschlingerte, deren Kampf zu Ende zu sein schien, denn der Drache beugte sich beinahe zärtlich über den zuckend am Boden
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