Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
ihm was Böses!« Er starrte das Bild auf dem Display seines Handys an, und sein Gesicht veränderte sich, wurde weicher. »So viele Jahre ist das her – lieber Gott. Ich war hier öfter als im Haus meiner Eltern, viel öfter …«
|288| »Wer hat eigentlich das Foto gemacht?«, fragte Lucinda, um ihn abzulenken.
»Was?«
»Wenn alle auf dem Bild sind, selbst Octavio, wer hat es dann aufgenommen?« Das Bild stammte ganz offensichtlich noch aus der Zeit vor Simos Walkwell und den ganzen anderen Leuten aus der Vergangenheit. War es damals überhaupt schon eine Farm gewesen oder bloß Octavio Tinkers verrücktes Haus?
Stillman sah sie an, als hätte sie ihn aufgefordert, ihr vom Weihnachtsmann zu erzählen. »Wer es gemacht hat? Was spielt das für eine Rolle? Dorothea wahrscheinlich, Grace’ Cousine aus dem Osten. Sie hat mehrere Jahre auf der Farm gelebt. In früheren Zeiten waren immer viele Leute da. Es war ein Ort, wo Frohsinn herrschte, Musik und gute Gespräche. Bevor Gideon alles an sich riss.«
Es sind immer noch viele Leute da,
dachte Lucinda, sprach es aber nicht aus.
Bloß dass sie aus der Eiszeit kommen und der alten Mongolei und so.
Der Chauffeur fuhr an den Straßenrand und hielt an. Die Scheibenwischer klatschten hin und her, doch es regnete derart heftig, dass sie kaum etwas ausrichteten. Ein Blitz ließ den Himmel aufleuchten. Lucinda sah in hundert Metern Entfernung undeutlich das Eingangstor der Tinkerfarm vor sich auftauchen, doch als es endlich donnerte, war es schon wieder verschwunden.
»Wir sind da, Mr. Stillman«, sagte der Mann am Steuer. »Wollen Sie im Haus anrufen?«
»Anrufen? Was denn, bin ich vielleicht ein Fremder?« Stillman lachte. »Nein, Cater, wir kommen unangemeldet. Fahren Sie durchs Tor.«
»Es ist zu«, gab der Fahrer zu bedenken.
|289| »Na und?«
Cater ließ den Motor aufheulen.
»Aber der Zaun steht unter Strom!«, rief Lucinda erschrocken.
Stillman lachte noch lauter. »Du liebe Güte, meinst du wirklich, so ein bisschen Strom macht uns etwas aus?
Hier drin?
Mädchen, man könnte dieses Auto aus nächster Nähe mit einer Kalaschnikow beschießen, und es würde kaum einen Kratzer abkriegen.«
Metallstangen knirschten und krachten und Drahtmaschen rissen, als der Wagen in voller Fahrt gegen das Tor donnerte. Es gab keinen Aufprall, jedenfalls keinen, den Lucinda gespürt hätte, und schon waren sie durch die äußere Sperre gebrochen. An der Stoßstange hingen ein paar Zaunstücke, die sie über den Kies schleiften, und schon sausten sie auf das zweite Tor zu, wo der Vorgang zweifellos wiederholt werden sollte.
Aber was ist, wenn die Tiere weglaufen?,
wollte sie schreien.
Wenn die Mantikore ausbrechen?
Ihr graute bei dem Gedanken, diese Bestien mit ihren langen Klauen und ihren unheimlichen, menschenähnlichen Gesichtern könnten sich frei in der Gegend herumtreiben. Aber wie konnte sie das sagen? Sie machte einen Versuch. »Onkel Gideon hat Wachhunde, Mr. Stillman, große, gefährliche Hunde! Wenn wir …«
Ed Stillman lächelte und griff unter seine Jacke, diesmal jedoch holte er kein Mobiltelefon hervor, sondern eine hässliche eckige Pistole, kaum zu erkennen, weil sie das Schummerlicht im Auto praktisch nicht reflektierte. Trotzdem hing Lucindas Blick daran wie an einem bösen Zauberding aus einem Märchen. »Über die Wachhunde würde ich mir nicht allzu viel Gedanken machen, junges Fräulein«, meinte Stillman zu ihr, »es sei denn, du sorgst dich um
ihre
Sicherheit. Die Sprenggeschosse in diesem guten Stück würden ein Nashorn umbringen.«
|290| »Wir haben keine Nashörner auf der Tinkerfarm«, sagte sie mit schwacher Stimme, während der Wagen mit Vollgas über den Kiesweg schlingerte, geradewegs auf das Farmhaus zu und mitten hinein in die schreckliche Katastrophe, die sie ausgelöst hatte.
»Na, da haben die Nashörner aber Glück gehabt«, sagte Edward Stillman und schob die Waffe ins Halfter zurück. »Ich bin nämlich gerade extrem schlecht gelaunt.«
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32
PARADE DER ARSCHGESICHTER
O kay, Jenkins«, sagte Steve, als sie in die große Höhle am Ende der Verwerfungsspalte hinausstolperten, »eins muss ich dir lassen: Langweilig wird es einem nicht mit dir.«
Tyler ließ den Strahl seiner Taschenlampe umherwandern, bis er die Leiter und die Klapptür darüber gefunden hatte, und die Enge in seiner Brust löste sich ein wenig. Anscheinend waren sie immerhin in der richtigen Zeit gelandet. »Entschuldige, was hast du gesagt?«
Steve
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