Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
Vom Netzwerk:
Straßenbrücke über der Mosel stand auf Pfeilern, die von römischen Ingenieuren errichtet worden waren. So auch die hohen Ziegelmauern der Basilika, hinter denen sich das altrosafarbene Residenzschloss verstecken konnte. Und jenseits einer grünen Rasenfläche mit Teichanlage befand sich das Museum.
    Sie war verabredet, doch am Empfang sagte man ihr, Dr. Gruber sei in einer Besprechung, die noch andauere. Abby kaufte sich eine Eintrittskarte und schlenderte, um sich die Zeit zu vertreiben, durch die Ausstellungsräume. In einer weiten, halbkreisförmigen Galerie traf sie auf Reihen von großen, bruchstückhaften Skulpturen, die, wie sie der Hinweistafel entnahm, von Grabdenkmälern stammten.
    «Die Lebenden erreicht, wer die Toten navigiert.»
    Sie drehte sich um. Ein dünner Mann in blauem Anzug stand hinter ihr. Er hatte eine hohe, glänzende Stirn, ein knorriges Gesicht und einen Schnurrbart, der schon vor siebzig Jahren aus der Mode gekommen war.
    «Mrs. Cormac?»
    So angeredet zu werden war ihr fremd. Als Mrs. hatte sie sich nicht einmal in den Jahren ihrer Ehe gesehen. Sie schüttelte ihm die Hand. «Dr. Gruber?»
    «Die Römer glaubten, die Toten würden die Lebenden vergiften. Darum wurden sie außerhalb der Stadtmauern begraben. Wer sich einer römischen Stadt näherte, kam zwangsläufig an Grabstätten vorbei, nicht selten auf einer Strecke von mehreren Kilometern. Das wollen wir hier abbilden.»
    Er führte sie durch eine markierte Tür und über eine Treppe hinauf in sein Büro. Auf einem Tisch vor der Wand stand eine beigefarbene Maschine. Große Fenster wiesen auf den Park und das hohe Ziegelgebäude jenseits des Teiches.
    «Wissen Sie, was das ist?», fragte Gruber.
    «Die Konstantinbasilika.» Sie hatte im Hotel davon gelesen.
    «Sie war der Thronsaal von Konstantins Palast, als er von hier, von Trier aus, als Kaiser über sein Reich herrschte.» Er spielte mit einem Kugelschreiber. «Für viele Deutsche heißt der Kaiser unserer Tage mit bürgerlichem Namen Beckenbauer.»
    Abby schmunzelte, ohne zu verstehen, was er meinte. «Und das Gebäude gleich daneben?»
    «Das kurfürstliche Palais, in dem früher die Bezirksregierung untergebracht war. Jetzt ist es Sitz der zentralen Verwaltung.»
    «Die Machtverhältnisse haben sich wohl ein bisschen verschoben.»
    «Sind aber strukturell ganz ähnlich, oder?» Er kratzte sich am Schnauzbart. «Es gibt Orte, an denen die Macht gewissermaßen zu Hause ist. Vor tausendsiebenhundert Jahren baute Konstantin dort drüben seinen Palast. In der Folgezeit residierten darin fränkische Grafen, Erzbischöfe des Mittelalters, Kurfürsten der Renaissance, preußische Könige, und nun ist er der Sitz unserer lokalen Verwaltung. Immer wieder ließen sich Mächtige dort nieder. Ob sie die Legitimation der Geschichte brauchten? Oder folgten sie einem tierischen Instinkt, der auf solche Orte anspricht? Vielleicht geht von ihnen eine unbestimmte Anziehungskraft aus.»
    Abby hatte Männer meist in anderen Zusammenhängen von tierischen Instinkten sprechen hören. Sie zog ihre Strickjacke enger um die Brust und zwang sich, Gruber in die Augen zu sehen.
    «Sie sagten, Michael habe Sie besucht.»
    Der Kugelschreiber in seiner Hand bewegte sich plötzlich nicht mehr. «Das ist korrekt.»
    «Sie haben versprochen, mir zu berichten, was er wollte.»
    «Ich sagte, am Telefon keine Auskunft geben zu können.»
    «Er hat etwas für Sie gekauft – ein Papyrus-Dokument, das Sie analysieren sollten. Ich habe den Brief gelesen, den Sie ihm gegeben haben.»
    Auf ihrer Mission im Kosovo hatte Abby ein wenig Deutsch gelernt und mit Hilfe einer Online-Übersetzungsmaschine und einem Wörterbuch den Text dechiffrieren können. Ihn von jemand anderem übersetzen zu lassen wäre ihr zu riskant gewesen.
    Hiermit wird der Empfang eines spätantiken Papyrus-Fragmentes bestätigt. Es ist unbekannter Herkunft und für ein Micro-CT-Scanning bestimmt, dessen Ergebnis streng vertraulich zu behandeln ist und einzig dem Eigentümer unterbreitet werden darf.
    «Wenn Sie den Brief gelesen haben, wissen Sie, dass es sich um eine vertrauliche Angelegenheit handelt. Mr. Lascaris hat darauf bestanden, dass nur er über die Untersuchungsergebnisse informiert wird, und zwar persönlich.»
    «Michael ist tot.»
    «Sind Sie seine Nachlassverwalterin? Seine Erbin? Können Sie mir eine schriftliche Vollmacht vorlegen?»
    «Ich war seine Partnerin.»
    «Tut mir leid. Mir gegenüber hat er von Ihnen nie

Weitere Kostenlose Bücher