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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Gleichgewicht. Er schüttelt die zu ihm hochgereckten Hände, lächelt und antwortet auf die Rufe seiner Männer, wenngleich nicht zu hören ist, was er sagt.
    Beim Anblick dieser Szene kommt wohl manchem das Bildnis des Neptun in den Sinn, der auf seinem Streitwagen über die Wellen gleitet. Konstantin sieht großartig aus, wie ein Gott, der den Elementen trotzt.

Konstantinopel – April 337
    «Valerius?»
    Ich bin nicht in York. Ich stehe in einer verwüsteten Wohnung und betrachte, was von dem Leben eines Mannes übrig geblieben ist. Simeon der Diakon wartet auf mich.
    Dass ich für eine Weile weggetreten war und mich in die Vergangenheit zurückversetzt habe, ist mir peinlich. Um meine Verlegenheit zu überspielen, frage ich: «Kennst du einen Mann namens Publilius Porfyrius, ehemals Präfekt von Rom?»
    «Er war ein Freund Alexanders.»
    «Er kam heute in die Bibliothek, war mit Alexander dort verabredet, wie er sagt. Hast du die beiden zusammen gesehen?»
    «Ich musste für Alexander fast den ganzen Tag Besorgungen machen und war ständig unterwegs.»
    «Was für Besorgungen?»
    «Papier und Tinte einkaufen. Bücher abholen, die er hat kopieren lassen, und Dokumente aus den kaiserlichen Archiven für sein Geschichtswerk. Außerdem musste ich Nachrichten überbringen. Deshalb war ich nicht zugegen, als er starb.»
    «Und wo warst du in dem Moment?»
    «Alexander hatte mich losgeschickt, um Bischof Eusebius von Nikomedia abzuholen.»
    Schon zum zweiten Mal am heutigen Tag höre ich den Namen Eusebius. «Warum sagst du mir das erst jetzt?»
    Die Frage verwundert ihn. «Ich habe ihn nicht angetroffen.»
    «Symmachus sagt, er sei in der Bibliothek gewesen.»
    Simeons Miene verrät, wie er darüber denkt. «Eusebius ist ein Bischof.»
    Will er mich provozieren, oder ist er einfach nur naiv? Ich erinnere mich an Symmachus’ Worte. Die Sekte der Christen ist verwirrt und bösartig.
    Was ist dieser Simeon?, frage ich mich. Verwirrt oder bösartig?

[zur Inhaltsübersicht]
    9
    Trier – Gegenwart
    Mit dem neuen Pass kam sie sich vor wie jemand anderes. Die Botschaft in Montenegro hatte ihn ausgestellt, damit sie nach Hause fahren konnte, denn der alte Pass war irgendwo zwischen der Villa und dem Krankenhaus verlorengegangen. Es lag nicht an dem Foto – obwohl sie sich auch darauf nicht wiedererkannte –, sondern an den leeren Seiten. Ihr letzter Pass, den sie acht Jahre lang besessen hatte, war voller Einreisestempel und Visa aus aller Herren Länder gewesen. Michael hatte sie damit aufgezogen: «Ein Leben für die Bürokratie.» Jetzt war das Ding fort.
    Aber der neue Pass war gültig, und nur dafür hatte sich der gelangweilte Mann an der Grenzkontrolle der St.-Pancras-Station interessiert. Sechs Stunden später – sie hatte zweimal umsteigen müssen – war sie in Trier gewesen, wo sich ihr die Frage aufdrängte, ob es nicht reichlich verrückt war, auf gut Glück durch halb Europa zu fahren. Von der langen Zugfahrt in einem unbequemen, vollbesetzten Abteil schmerzte ihre Schulter. Sie fühlte sich wie nach einem Marathon.
    Im Hotel Römischer Kaiser bezog sie Quartier. Es lag gegenüber der Porta Nigra, jenem schwarzen Torhaus, das auf Michaels Postkarte abgebildet war. Es beeindruckte sie so sehr, dass sie ihren Blick kaum losreißen konnte.
    Hast du’s gesehen?, fragte sie Michael im Stillen, mit dem sie während der ganzen Fahrt stumme Zwiesprache gehalten hatte. Und bist du im selben Hotel abgestiegen? Wann war das?
    Auf die letzte Frage glaubte sie eine Antwort zu wissen. Der Brief vom Museum war auf Ende Juli datiert, einen Monat vor Michaels Tod. Um diese Zeit hatte er sich auch tatsächlich, für sie völlig unerwartet, von ihr verabschiedet, um an einer Konferenz der EU-Grenzbehörden in Saarbrücken teilzunehmen. Abby erinnerte sich an seine Erklärung für den plötzlichen Aufbruch: Er müsse einen Kollegen vertreten, der in letzter Minute abgesagt hätte. Um sie zu trösten, hatte er ihr versprochen, ein Bratwürstchen und eine Flasche Riesling mitzubringen – das einzig Gute, was die Konferenz zu bieten habe.
    Von Trier war nicht die Rede gewesen.

    Wahrscheinlich gründeten die meisten Städte auf den Fundamenten der Geschichte, vermutete Abby. In Trier lagen Vergangenheit und Gegenwart besonders dicht beieinander. Die letzten tausend Jahre waren gewissermaßen ein fadenscheiniger Teppich, der über das alte Rom gelegt worden war, ohne dessen Konturen verhüllen zu können. Die moderne

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