Die Geheimnisse der Toten
aufgebrochen, in einer goldenen Rüstung auf vergoldetem Streitwagen, der von vier weißen Pferden gezogen wird, in der Hand sein labarum , seine Standarte, die er vor der Schlacht an der Milvischen Brücke hat schmieden lassen. Das war vor knapp fünfundzwanzig Jahren, und seitdem führte er mit dieser Standarte seine Truppen fast Jahr für Jahr aufs Neue in den Krieg. Goten, Sarmatiner, Franken oder rivalisierende Kaiser – sie alle mussten sich der unbesiegbaren Standarte geschlagen geben, die selbst kaum einen Kratzer abbekommen hat. Der goldene Kranz, der das Monogramm umrahmt, leuchtet wie am ersten Tag, und die darin verwobenen Edelsteine funkeln wie Sterne, wenn das Licht der Sonne auf sie trifft.
Und nun steht ein weiterer Abschied an. Symmachus schifft sich heute nach Piräus ein, um von dort aus zu irgendeiner unbekannten Felseninsel in der Ägäis weiterzufahren. Ich bin gekommen, um ihm Lebewohl zu sagen. Wenigstens so viel bin ich ihm schuldig.
Ich steige die steilen Stufen zwischen zwei Lagerhäusern hinab und erreiche die Anlegestelle. Auf der einen Seite, wo eine Leiter an der Bordwand einer Barke lehnt, stehen vier Soldaten der Palastwache und reißen Zoten.
Ich nähere mich ihnen. «Ist Aurelius Symmachus hier?»
Niemand erkennt oder grüßt mich. Sie waren noch Kinder, als ich das letzte Mal einer Legion vorstand. Der Älteste von ihnen mustert mich argwöhnisch und denkt wohl, ich könnte Ärger machen.
«Wer will das wissen?»
«Ein Freund des Augustus.» Ich zeige ihnen das elfenbeinerne Diptychon, das Konstantin mir gegeben hat, und sofort stehen sie stramm.
«Er ist noch nicht da», antwortet der Soldat. Ein Blick zum Himmel empor. «Ich hoffe für ihn, dass er bald kommt. Meine Schicht endet bei Sonnenaufgang.»
«Da drüben steht jemand», sagt einer der anderen Soldaten und zeigt auf eine Gestalt, die eine Kapuze über den Kopf gezogen hat und sich im Eingang eines Getreidespeichers versteckt hält. «Der wartet auch auf den Gefangenen.»
Die Gestalt hört, dass von ihr gesprochen wird, und tritt ins Freie. Die Kapuze fällt in den Nacken zurück: Es ist Porfyrius. Er scheint in der vergangenen Woche um Jahre gealtert zu sein. Von der theatralischen Energie, die er in Symmachus’ Garten zur Schau gestellt hat, ist nicht viel übrig geblieben. Auch seine Augen blitzen nicht mehr. Zu meiner Überraschung nimmt er mich wie einen alten Freund in den Arm.
«Wir Alten sollten zusammenhalten», sagt er. «Bevor uns die Jungen gänzlich verdrängt haben.»
Er tritt zurück und mustert mich vom Scheitel bis zur Sohle. «Wie man hört, bist du nicht einverstanden mit dem Urteil gegen Symmachus.»
«Der Augustus hat es selbst so gefällt.»
«Du meinst, Symmachus hätte auch gleich gestehen können, anstatt dafür zu sorgen, dass alle Umstände gegen ihn sprechen?»
Will er mir ein unbedachtes Wort entlocken? Ich schaue mich auf der geschäftigen Werft um: Ein Schauermann sitzt auf einer Amphore und isst sein Brot, ein Kontorist tippt mit seinem Stift auf eine Tafel. Überall in dieser Stadt trifft man auf Publikum. Es rät sich, nichts zu sagen.
«Die Zeugenaussage des Sklaven soll falsch sein», setzt Porfyrius nach. «Hast auch du ihn verhört?»
Ich wünschte, es wäre so. Der Sklave ist bestimmt der Schlüssel für das Komplott gegen Symmachus.
«Er wurde gefoltert, und am nächsten Morgen war er bereits auf dem Weg in die Silberminen von Dardanien.» Ich zucke mit den Schultern. «Das römische Recht ist manchmal zu schnell für einen alten Mann.»
Porfyrius nickt. Mehr wird er von mir nicht erfahren. «Nett von dir, dass du dich von Symmachus verabschieden willst.»
«Der Augustus will Gewissheit haben, dass er tatsächlich geht.» Was ich scherzhaft meine, klingt recht grausam aus meinem Mund. Porfyrius weicht einen Schritt zurück.
«Symmachus ist Stoiker. Er wird es sich nicht nehmen lassen, in Würde zu gehen.»
Aber von ihm ist immer noch nichts zu sehen. Die Sonne geht auf, die Soldaten murren. Karren voller Fisch werden zum Markt gerollt. Porfyrius setzt sich in Bewegung, geht den Kai entlang und blickt erwartungsvoll auf den Zugang zum Hafen.
Der Soldat kommt auf mich zu. Mit meiner kaiserlichen Vollmacht bin ich für ihn eine Autorität.
«Er hätte schon vor einer Stunde hier sein müssen. Sollen wir ihn von seinem Haus abholen?»
Ich bin es leid, noch länger zu warten. «Ich hole ihn.»
Porfyrius folgt mir wortlos. Für zwei alte Männer ist der steile
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