Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
ihn an. »Du lässt wohl nicht locker, was?«
Kapitel 7
V or dem Krankenhaus hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt und blockierte den Haupteingang. Hannah marschierte energisch auf die Leute zu, aber Avi hielt sie zurück, denn mitten in dem Gewühl erkannte er ein vertrautes Gesicht: ein dunkelhäutiger Mann mit einem ordentlichen Kinnbärtchen. Professor Khan. Die Menschen reckten Mikrofone hoch und lauschten aufmerksam seinen Worten.
»Warte«, zischte Avi und duckte sich hinter einen geparkten Transporter. »Diesen Eingang können wir nicht nehmen.«
Entnervt drehte sich Hannah um. »Ich habe die ganze Nacht gebraucht, um hier anzukommen, und ich lasse mich jetzt nicht aufhalten.«
»Ich will dich ja gar nicht aufhalten, sondern nur einen anderen Eingang finden.«
»Warum?«
»Hör zu.«
Die Brise war ihnen vom Fluss gefolgt und trug nun Khans Stimme zu ihnen hinüber. Sie war zwar nur leise zu hören, und immer wieder fehlten einige Wörter, aber sie konnten genug verstehen.
»… sogenannte Wunderjunge … Aufenthaltsort unbekannt … wir bitten alle, die … tun unser Menschenmöglichstes …«
»Die suchen dich«, stellte Hannah fest. »Was willst du unternehmen?«
Die Frage überraschte Avi. Er erinnerte sich an das Gefühl im Krankenhaus, als sei ein Damm gebrochen und die Flutwelle drohe ihn zu verschlingen. Nun, inzwischen stand ihm das Wasser bis zum Hals, und er wurde von Ereignissen mitgerissen, die sich seinem Einfluss entzogen. Auf den Gedanken, dass er auch selbst etwas entscheiden könnte, war er noch gar nicht gekommen.
»Ich habe dir versprochen, dass wir deine Mutter besuchen«, sagte er. »Und dieses Versprechen halte ich auch. Aber ich darf nicht zulassen, dass diese Leute mich wieder in die Finger kriegen. Sie werden Tausende von Untersuchungen durchführen, mich in einen Käfig sperren wie eine Laborratte und mich nie wieder freigeben.«
»Wirklich?« Hannah schien ihm nicht zu glauben. »Du bist unter eine U-Bahn gefallen, Avi. Du könntest immer noch irgendwelche Verletzungen haben.«
»Mir geht es prima«, antwortete er. Und das stimmte auch.
Khan war am Ende seiner Ansprache angelangt. Allerdings zerstreuten sich die Reporter nicht, sondern fingen an, sich etwas zu notieren, oder zückten ihre Mobiltelefone. Die anwesenden Fernsehjournalisten sprachen Kommentare in die Kameras. Und um das Maß vollzumachen, hatte sich auf jeder Seite der Tür ein Polizist postiert, die den Eingang flankierten wie zwei uniformierte Statuen.
»Es gibt eine Hintertür«, meinte Hannah und wies auf eine Holunderhecke, die entlang des großen Steingebäudes verlief. »Komm.«
Unbemerkt erreichten sie den Empfangstisch. Voller Angst, entdeckt zu werden, blickte Avi sich ständig um, aber Hannah war in Gedanken nur bei einem Thema.
»Meine Mutter«, sagte sie mit zitternder Stimme zu dem Mann hinter der Theke. »Sie wurde gestern eingeliefert. Sie ist … sie … äh …«
»Wie heißt denn deine Mutter?«, fragte der Mann freundlich.
»Frieda. Frieda Bower.«
Fünf Minuten später saßen Avi und Hannah in einem kleinen Besprechungszimmer. Hannah hatte die Hände auf dem Schoß ineinandergekrampft. Ihre Fingerknöchel waren weiß.
»Bist du sicher, dass es dir nicht lieber ist, wenn ich draußen warte?« Avi wusste nicht, warum er flüsterte.
Bevor Hannah antworten konnte, ging die Tür auf und eine Frau trat ein. Sie trug eine elegante blaue Jacke und hatte einige Unterlagen bei sich.
»Hallo, Hannah«, begann die Frau. »Mein Name ist Jane Easter. Ich habe deine Mutter behandelt.«
»Was fehlt ihr denn?«, fragte Hannah.
Jane Easter hatte Falten um die Augen und wirkte gleichzeitig gütig und traurig. Sie warf einen Blick auf Avi. »Bist du auch ein Familienmitglied?«
»Er ist ein Freund«, erwiderte Hannah rasch. Aus irgendeinem Grund löste die Antwort ein Kribbeln in Avis Bauch aus. »Bitte, sagen Sie mir, was los ist.«
»Also gut, Hannah. Ich fürchte, deine Mutter hat einen Gehirntumor. Das haben wir gestern Abend bei der Magnetresonanzuntersuchung entdeckt. Offenbar wächst er schon seit einer Weile. Ist dir in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches an deiner Mutter aufgefallen? Kopfschmerzen? Schwindel? Ähnliche Beschwerden?«
Hannah schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein. Gar nichts.«
Dr. Easter nickte, als hätte sie damit gerechnet. »Das kommt leider nicht selten vor. Manchmal treten diese Dinge ohne Vorwarnung auf.«
»Und was unternehmen Sie
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