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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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jetzt?«, erkundigte sich Hannah. »Sie können etwas tun, oder? Sie wird doch wieder gesund?«
    Dr. Easter tätschelte Hannah die zitternden Hände. »Ach, mein Kind, ich glaube nicht.«
    Verzweiflung zeichnete sich in Hannahs Gesicht ab. »Was soll das heißen? Ich verstehe nicht ganz.«
    »Ich weiß, dass es nicht leicht für dich ist, aber dieser Tumor ist inoperabel. Wir können deiner Mutter nicht helfen, Hannah. Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, doch sie wird bald sterben.«
    Im ersten Moment dachte Avi, dass Hannah einen Zusammenbruch erleiden würde. Sie saß einfach da, ließ die Schreckensnachricht auf sich wirken, das Gesicht gerötet und verkniffen, die Hände in der tröstenden Berührung der Ärztin erstarrt. Dann fasste sie sich allmählich wieder.
    »Ich will sie sehen«, sagte sie, als sie endlich die Sprache wiedergefunden hatte. »Und zwar sofort.«
    »Natürlich«, erwiderte Dr. Easter. »Folge mir.«
    Sie nahm Hannah bei der Hand und führte sie auf den Flur hinaus. In der Tür blieb Hannah stehen. »Komm«, wandte sie sich an Avi.
    »Nein«, sagte er. »Ich wäre nur im Weg. Du … solltest mit deiner Mutter allein sein.«
    Hannah versuchte zu sprechen, doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Stattdessen streckte sie ihre freie Hand aus, die vor Avi flatterte wie ein zarter weißer Schmetterling. Avi griff danach, und die drei marschierten wie eine Menschenkette den langen Krankenhausflur entlang. Sie bogen um eine Ecke, dann um noch eine und standen schließlich vor einer Tür. Jane Easter hielt inne.
    »Sie liegt da drin«, meinte sie. »Lass dir so viel Zeit, wie du willst. Wenn du fertig bist, wartet jemand im Zimmer gegenüber, um die Situation mit dir zu besprechen.«
    Mit diesen Worten ging sie. Hannah und Avi verharrten Hand in Hand und wagten nicht einzutreten.
    »Ich schaffe es nicht«, meinte Hannah. Ihre Schultern bebten.
    »Komm«, entgegnete Avi. »Ich begleite dich.«
    Das Zimmer hinter der Tür entsprach ganz und gar nicht ihren Erwartungen. Es war gemütlich mit Blümchenvorhängen und gedämpften Lampen an den Wänden ausgestattet. Allerdings war die rauhe Wirklichkeit des Pflegebettes, der piepsenden Maschinen daneben und der Schläuche, die von diesen Maschinen zu der aschfahlen Frau unter der Bettdecke führten, nicht zu übersehen.
    Im ersten Moment hatte Avi sie für tot gehalten, so reglos und weggetreten lag sie da, doch ihre Brust hob und senkte sich sehr langsam. Ihre Miene war ruhig. Mutter und Tochter ähnelten sich ausgesprochen stark.
    »Sie ist sehr schön.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein, und außerdem war es die Wahrheit.
    »Bitte bleib hier«, erwiderte Hannah und umklammerte seine Hand so fest, dass es weh tat.
    Obwohl Avi sich sehnlichst an einen anderen Ort wünschte, wollte er Hannah nicht im Stich lassen und folgte ihr zum Bett. Sie setzten sich. Hannah strich mit dem Handrücken erst über das Gesicht ihrer Mutter und dann über ihren Arm, dabei ließ sie Avis Hand nicht los. Sie weinte und murmelte Worte, die Avi zu überhören versuchte – sie gingen ihn nichts an, denn er war ein Fremder hier.
    »Stirb nicht, Mummy, bitte stirb nicht. Ich will nicht allein sein. Ich habe doch nur noch dich.«
    Frieda Bower im Bett rührte sich nicht.
    Hannah berührte wieder das Gesicht ihrer Mutter und schob die Hand unter ihren Kopf. Avi dachte an Durin und daran, wie der große graue Mann in seinen Armen gestorben war. Was für ein Alptraum war das, in dem er von Goblins verfolgt wurde und sich ständig Leiden und Tod ausgesetzt sah? Etwas regte sich in ihm, ein überwältigender Drang, sich gegen die Fluten zu stemmen, die ihn mitzureißen drohten. Er wollte die Hand ausstrecken und etwas zurückgeben.
    Also ließ er Hannahs Hand los und griff nach der von Frieda.
    Nimm es zurück, dachte er.
    Jemand schob einen Rollwagen draußen vorbei. Avi ertappte sich, wie er nach dem typischen Geräusch horchte, aber die Räder klapperten zwar über den Boden, quietschten jedoch nicht. Seine Gedanken schweiften ab …
    Eines der Geräte neben dem Bett, das ein langsames, regelmäßiges Piepsen von sich gegeben hatte, änderte plötzlich den Ton und piepste schneller.
    »Was ist da los?«, fragte Hannah, die den Kopf gesenkt hatte. Nun hob sie ihn. »Stimmt etwas nicht?«
    Avi spürte in der Handfläche, wie Hitze durch den Körper der Sterbenden strömte. Offenbar hatte Hannah es auch wahrgenommen, denn sie fuhr zurück wie unter einem elektrischen

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