Die geheimnißvolle Insel
hatte seine gewohnte Lebensweise wieder aufgenommen, nahm an den Mahlzeiten keinen Antheil, schlief unter den Bäumen des Plateaus und ging jeder Berührung mit den Anderen ängstlich aus dem Wege. Die Gesellschaft seiner Erretter aus der schrecklichen Verlassenheit schien ihm noch immer unerträglich.
»Warum hat er dann aber, bemerkte Pencroff, Hilfe durch Nebenmenschen gesucht? Warum jenes Schriftstück dem Meere anvertraut?
– Das wird er uns noch mittheilen, behauptete Cyrus Smith immer wieder.
– Aber wann?
– Vielleicht eher, als Sie es glauben, Pencroff.«
Und wirklich, der Tag der Geständnisse war nicht mehr fern.
Am 10. December, eine Woche nach dessen Rückkehr zum Granithause, sah Cyrus Smith den Unbekannten auf sich zukommen.
»Ich hätte wohl eine Frage an Sie, begann er mit sanfter Stimme und unterwürfigem Tone.
Der Verlassene von der Insel Tabor. (S. 442.)
– Sprechen Sie, erwiderte der Ingenieur, doch zuvor lassen Sie auch mich eine Frage stellen.«
Bei diesen Worten übergoß den Unbekannten eine dunkle Röthe, und schon war er nahe daran, wieder umzukehren. Cyrus Smith begriff, was in der Seele des Schuldbewußten vorgehen mochte, der ohne Zweifel eine Frage über seine Vergangenheit zu hören fürchtete.
Der Ingenieur hielt ihn mit der Hand zurück.
»Kamerad, wendete er demnach seine Worte, wir Anderen sind nicht allein Ihre Schicksalsgenossen, sondern auch Ihre Freunde. Das war es, was ich Ihnen vorher an’s Herz zu legen wünschte, und nun sprechen Sie, – ich höre!«
Der Unbekannte strich mit der Hand über die Augen. Ein Zittern durchschauerte ihn, so daß er einige Zeit keine Silbe hervorzubringen vermochte.
»Mein Herr, stotterte er endlich, ich komme, Sie um eine Gnade zu bitten.
– Um welche?
– Am Fuße eines Berges, gegen vier bis fünf Meilen von hier, besitzen Sie eine Hürde für Ihre Hausthiere. Diese Thiere bedürfen der Pflege. Wollen Sie mir gestatten, mit jenen da unten zu leben?«
Voll tiefen Mitgefühles ruhte der Blick des Ingenieurs eine Zeit lang auf dem bedauernswerthen Mann.
»Die Hürde, guter Freund, antwortete er ihm dann, enthält nur Ställe, kaum für die Thiere geeignet …
– O, für mich genügt das, mein Herr!
– Lieber Freund, fuhr Cyrus Smith fort, wir werden Ihren Wünschen niemals entgegentreten. Gefällt es Ihnen, sich in der Nähe der Hürde aufzuhalten, nun wohl, so sei es. Natürlich werden Sie im Granithause jederzeit willkommen sein. Da Sie aber bei der Hürde wohnen wollen, so werden wir die nöthigen Einrichtungen für Ihren Aufenthalt daselbst treffen.
– Das verlangt nicht viel, ich werde mit Wenigem auskommen.
– Mein Freund, erwiderte Cyrus Smith mit absichtlicher Wiederholung dieser vertraulichen Anrede, Sie werden doch unserem Urtheile überlassen, zu thun, was in dieser Hinsicht nöthig erscheint.
– Ich danke im Voraus, mein Herr!« antwortete der Unbekannte und zog sich wieder zurück.
Der Ingenieur setzte seine Gefährten sogleich von dem ihm gemachten Vorschlag in Kenntniß, und man beschloß, neben der Hürde ein hölzernes, mit möglichster Bequemlichkeit auszustattendes Häuschen zu errichten.
Noch an demselben Tage verfügten sich die Colonisten unter Mitnahme der nöthigen Werkzeuge an Ort und Stelle, und noch vor Ablauf der Woche stand das Häuschen bereit, seinen Insassen aufzunehmen. Es war etwa zwanzig Schritte von den Ställen in einer Lage errichtet, welche die Ueberwachung der bis auf etwa vierhundert Häupter angewachsenen Heerde erleichtern mußte. Einiges Mobiliar, eine Lagerstätte, ein Tisch, eine Bank, ein Schrank und ein Koffer wurden gezimmert, und Waffen, Munition und Werkzeuge nach dem Neubau übergeführt.
Noch hatte der Unbekannte seine neue Behausung nicht gesehen, und deren Herstellung den Ansiedlern allein überlassen, während er immer auf dem Plateau, wie sich später ergab, in der Absicht arbeitete, seine begonnenen Erdarbeiten auch zu Ende zu führen. Und wirklich zeigte sich, Dank seinem Fleiße, das ganze Ackerland umgegraben und bis zum Einsäen fertig gestellt.
Am 20. December waren die Einrichtungen an der Viehhürde beendigt. Der Ingenieur theilte also dem Unbekannten mit, daß seine Wohnung bereit sei, und dieser erwiderte, daß er dann schon die kommende Nacht daselbst zuzubringen gedenke.
Im Hauptzimmer des Granithauses saßen die Ansiedler am Abend zusammen; es war um acht Uhr, – die Stunde, da ihr Gefährte sie verlassen sollte. Eben, da sie
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