Die geheimnißvolle Insel
nach dem Schlangenvorgebirge zu gelangen. Von den neunzig Meilen des Inselumfangs kamen zwanzig auf die Südküste von jenem Hafen bis zu dem Vorgebirge. Diese zwanzig Meilen mußte man also möglichst dicht gegen den Wind fahren, da derselbe vollkommen entgegengesetzt blies.
Diese erste Strecke bis zu jenem Landvorsprünge nahm den ganzen Tag in Anspruch, denn beim Verlassen des Hafens kam dem Schiffe die Ebbe nur noch zwei Stunden lang zu statten, während es nachher sechs Stunden lang gegen die Fluth anzukämpfen hatte. So kam die Nacht heran, bis man das Vorgebirge umsegelte.
Pencroff schlug dem Ingenieur vor, mit zwei gerefften Segeln und verminderter Schnelligkeit weiter zu fahren; Cyrus Smith zog es jedoch vor, einige Kabellängen vom Lande entfernt zu ankern, um den nächst anliegenden Küstenstrich bei Tage zu Gesicht zu bekommen. Gleichzeitig wurde, da es eine genaue Erforschung der Küste galt, festgesetzt, in der Nacht überhaupt nicht zu segeln, und also auch am kommenden Abend so nahe am Lande, als Wind und Wetter es gestatten würden, Anker zu werfen.
Die Nacht verbrachte man demnach vor Anker in der Nähe des Vorgebirges, und da auch der Wind sich mit Eintritt der Dunkelheit gelegt hatte, störte nichts die friedliche Ruhe. Die Passagiere, mit Ausnahme des Seemannes, schliefen vielleicht auf dem Bonadventure nicht ganz so gut, als in ihren Betten im Granithause, indeß sie schliefen doch.
Am andern Tage, den 17. April, setzte Pencroff mit Anbruch des Tages Segel bei, und konnte mit voller Leinwand und Backbordhalfen dicht an der Westküste hin fahren.
Die Ansiedler kannten zwar dieses prächtig bewaldete Gestade, da sie schon zu Fuß an seinem Saume gewandert waren, und dennoch erregte es ihre ungetheilte Bewunderung. Sie glitten so nahe als möglich am Lande hin, mäßigten die Schnelligkeit des Schiffes, um Alles ins Auge fassen zu können, und wichen nur einzelnen Baumstämmen aus, welche da und dort umher schwammen. Einige Male warfen sie sogar Anker und Gedeon Spilett nahm etliche Ansichten dieses herrlichen Ufers photographisch auf.
Gegen Mittag war der Bonadventure bei der Mündung des Cascadenflusses angelangt. Ueber diesen hinaus, am rechten Ufer desselben, zeigten sich wiederum Bäume, die jedoch minder dicht standen, und drei Meilen weiter bildeten sie nur noch einzelne Gruppen zwischen den westlichen Ausläufern des Berges, deren unfruchtbare Kämme sich bis zum Ufer erstreckten.
Welch’ ein Unterschied zwischen dem südlichen und dem nördlichen Theile dieser Küste. So bewaldet und mit Grün geschmückt die eine war, so rauh und wild erschien die andere! Man hätte eins jener »eisernen Gestade«, wie man sich in manchen Ländern ausdrückt, zu sehen geglaubt, und seine zerrissene Gestaltung schien darauf hinzudeuten, daß hier der in geologischen Zeiten feurig-flüssige Basalt in überstürzter Krystallisation angeschossen sei – ein Wirrwarr von erschreckendem Aussehen, der die Colonisten, wenn sie zufällig auf diese Küste niedergefallen wären, gewiß tief entmuthigt hätte. Bei ihrem Besuche des Franklin-Berges hatten sie den düsteren Charakter dieses Küstenstriches des hohen Standpunktes wegen nicht so deutlich wahrnehmen können; vom Meere aus gesehen bot dieses Gestade aber einen so fremdartigen Anblick, wie er sich wohl kaum in irgend einem Erdenwinkel wiederfinden möchte.
Der Bonadventure passirte die Küste in der Entfernung einer halben Meile. Es war leicht zu erkennen, daß sie aus Blöcken jeder Größe, von zwanzig bis dreihundert Fuß Höhe, und jeder Form bestand, aus cylindrischen und prismatischen Gestalten, welche Thürmen, pyramidalen, welche Obelisken, und leicht konischen, welche Fabrikschornsteinen ähnelten. Das Packeis der nördlichen Meere konnte trotz seiner furchtbaren Schönheit nicht launenhafter unter einander gewürfelt sein! Hier spannten sich Brückenbogen von einem Felsbock zum anderen, dort strebten Spitzbögen wie in einem Kirchenschiffe, dessen Tiefe man nicht absehen konnte, kühn empor; an manchen Stellen zeigten sich Aushöhlungen in wahrhaft monumentalen Verhältnissen, an anderen eine Unmasse von Nadeln, kleinen Pyramiden und Spitzthürmchen in größerer Zahl, als sie je eine gothische Kathedrale schmückten. Alle Launen der Natur, die unsere Phantasie so weit überbietet, waren über diese Uferstrecke verstreut, welche sich zwischen acht bis neun Meilen lang ausdehnte.
Mit einem Erstaunen, das sie sprachlos machte, ließen
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