Die geheimnißvolle Insel
Alles in Allem hatte aber das Granithaus von der Unbill der Witterung sehr wenig zu leiden, ebenso auch die Viehhürde, welche, minder frei liegend als das Pateau, und andererseits vom Franklin-Berge geschützt, die Windstöße nur erhielt, nachdem ihre Wuth schon durch die Uferfelsen und die dichten Wälder gebrochen war. Die Schäden daselbst erreichten also niemals eine besondere Ausdehnung, und genügten Ayrton’s geschickte und fleißige Hände, sie hinreichend auszubessern, als er in der zweiten Hälfte des Octobers auf einige Tage dahin abging.
Im Verlaufe des Winters ereignete sich nichts besonders Aufallendes, obwohl Nab und Pencroff auch auf das Geringfügigste achteten, was etwa auf eine geheimnißvolle Ursache zurückzuführen wäre. Auch Top und Jup liefen nicht mehr um den Schacht herum, und gaben keinerlei Zeichen von Unruhe. Es gewann also den Anschein, als sei die Reihe übernatürlicher Zufälle unterbrochen; doch sprach man im Granithause so manchen Abend davon und verharrte bei dem Entschlusse, auch die unzugänglichsten Theile der Insel zu durchforschen. Ein höchst ernsthaftes Ereigniß aber, dessen Folgen sehr verderblich zu werden drohten, lenkte Cyrus Smith und seine Genossen plötzlich von ihrem Vorhaben ab.
Es war um die Mitte des Octobers. Die schöne Jahreszeit kam schnell heran. Die Natur erwachte von den Strahlen der Sonne, und mitten unter den immergrünen Coniferen, welche den Saum des Waldes bildeten, machte sich schon das junge Grün der Zirbelbäume, der Banksias und Deodars bemerklich.
Man erinnert sich, daß Gedeon Spilett und Harbert wiederholt photographische Ansichten von der Insel Lincoln aufgenommen hatten.
Am 17. October nun kam Harbert, verführt durch die Reinheit des Himmels, auf den Gedanken, die ganze Unions-Bai, welche vom Plateau aus vom Kiefern-Cap bis zum Krallen-Cap vor ihnen lag, abzubilden.
Der Horizont war klar, und das von einer leichten Brise bewegte Meer bot in der Ferne den Anblick eines stillen Sees, mit einzelnen aufblitzenden prächtigen Lichtern.
Das Objectiv wurde an ein Fenster des Granithauses gebracht, und in dessen Gesichtsfelde lag also der ganze Strand und die Bai. Harbert verfuhr auf gewohnte Weise, und fixirte die erhaltenen Platten mittels der geeigneten Chemikalien in einem dunkeln Raume des Granithauses.
Als er wieder in’s Helle zurückkam, bemerkte er auf seiner Platte einen kleinen, kaum wahrzunehmenden Punkt am Horizonte des Meeres. Er versuchte ihn durch wiederholte Waschungen zu entfernen, doch das gelang nicht.
»Es wird ein Fehler im Glase sein«, dachte er.
Da untersuchte er, eigentlich aus reiner Neugier, diesen Flecken mittels einer starken Linse, welche er aus dem Apparate losschraubte.
Kaum fiel aber sein Auge auf jenen, als er einen Schrei ausstieß und die Platte fast seinen Händen entglitt.
Er lief sogleich nach dem Zimmer, in dem Cyrus Smith sich aufhielt, reichte Platte und Linse dem Ingenieur und zeigte diesem jenen Flecken.
Cyrus Smith prüfte das Pünktchen; dann ergriff er sein Fernrohr und eilte an das Fenster.
Nach sorgfältiger Untersuchung des Horizontes mit dem Fernrohre haftete dieses endlich auf dem verdächtigen Punkte, und Cyrus Smith ließ es dann herabsinken, indem er nur die zwei Worte aussprach: »Ein Schiff!«
Und wirklich, weit da draußen war ein Schiff in Sicht der Insel Lincoln!
Dritter Theil.
Das Geheimniß.
Erstes Capitel.
Zum Heil oder Verderben? – Ayrton herbeigerufen? – Das ist der Duncan nicht! – Ein verdächtiges Schiff. – Vorsichtsmaßregeln. – Annäherung des Fahrzeuges. – Ein Kanonenschuß. – Die Brigg ankert in Sicht der Insel. – Anbruch der Nacht.
Zwei und ein halb Jahre waren vergangen, seitdem die verschlagenen Insassen des Ballons auf die Insel Lincoln geworfen wurden, und bis jetzt hatten sie noch niemals Gelegenheit gehabt, sich mit anderen Menschen in Verbindung zu setzen. Einmal versuchte es bekanntlich Gedeon Spilett, als er einem Vogel jene Notiz über das Geheimniß ihres Aufenthaltsortes anvertraute, doch schien es fast unmöglich, eine ernstere Hoffnung auf Erfolg darauf zu gründen. Nur Ayrton allein gesellte sich unter den erzählten Umständen zu den Mitgliedern der Colonie. – Und jetzt – am 17. October – erschienen plötzlich noch andere Menschen in Sicht der Insel auf dem verlassenen Oceane!
Kein Zweifel! – Ein Schiff war dort! Würde es aber auf offener See vorübersegeln oder hier an’s Land gehen? Binnen wenigen Stunden
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