Die geheimnißvolle Insel
diese Gefangenschaft in der Hürde für die Colonisten sein mußte. Sie hatten sich aber verpflichtet, vor dem eisernen Zwange den Nacken zu beugen, wenn sie’s auch nur mit Unruhe thaten.
Einige Male wagte sich auch der Reporter hinaus und umging die ganze Palissade. Top begleitete ihn dabei, und Gedeon Spilett hielt sich, das Gewehr in der Hand, für jeden Fall bereit.
Es kam dabei zu keiner feindlichen Begegnung, und er fand nirgends eine verdächtige Spur. Sein Hund hätte ihn von jeder Gefahr benachrichtigt; bellte Top aber nicht, so durfte man sicher sein, daß für den Augenblick wenigstens nichts zu fürchten war und die Sträflinge einen anderen Theil der Insel durchstreiften.
Bei einem solchen Ausgange, am 27. November, bemerkte Gedeon Spilett, der sich etwa eine Viertelmeile in das Gehölz am Süden des Berges hineingewagt hatte, doch an Top einige Unruhe. Der Hund zeigte seinen gewöhnlichen Gang nicht mehr; er lief hin und her, durchstöberte Gras und Buschwerk so, als verriethe sein Geruch ihm einen verdächtigen Gegenstand.
Gedeon Spilett folgte Top nach, feuerte ihn an und hetzte ihn durch Zurufen, überblickte aber auch, den Carabiner schon an der Schulter, jeden möglichen Hinterhalt, und suchte sich, so gut es anging, durch die Bäume zu decken. Unwahrscheinlich war es, daß Top die Gegenwart eines Menschen spürte, denn diese hätte er durch halbverhaltenes Bellen und ein leises Knurren angemeldet. Da er sich aber vollkommen ruhig verhielt, konnte die Gefahr weder ernsthafter Natur, noch allzu nahe sein.
Fünf Minuten vergingen so, während Top umherstöberte und der Reporter ihm vorsichtig folgte, als der Hund sich plötzlich gegen einen dichten Busch stürzte und einen Fetzen Stoff daraus hervorzerrte.
Es war ein Theil eines Kleidungsstückes, aber beschmutzt und zerrissen, den Gedeon Spilett sofort in die Hürde mitnahm.
Die Colonisten sahen das Stück Zeug dort näher an und erkannten, daß es von Ayrton’s Jacke herrührte, an dem Filz, der nur in der Werkstätte des Granithauses erzeugt wurde.
»Hier sehen Sie, Pencroff, sagte Cyrus, daß der unglückliche Ayrton Widerstand geleistet hat. Die Sträflinge haben ihn gegen seinen Willen fortgeschleppt. Zweifeln Sie noch immer an seiner Rechtschaffenheit?
– O nein, Herr Cyrus, antwortete der Seemann, auch bin ich von meinem augenblicklichen Mißtrauen schon längst zurückgekommen. Ein Schluß aber scheint mir hieraus erlaubt.
– Und welcher? fragte der Reporter.
– Der, daß Ayrton nicht in der Hürde den Tod fand. Man hat ihn, da er sich wehrte, lebend mitgezerrt, und vielleicht lebt er auch jetzt noch!
– Das wäre in der That möglich«, antwortete nachdenklicher der Ingenieur.
Hier zeigte sich ein Hoffnungsschimmer, der Ayrton’s Genossen vielleicht noch mehr versprach. Bis jetzt hatten sie annehmen müssen, Ayrton wäre, ebenso wie Harbert, von einer Kugel niedergestreckt worden. Tödteten die Sträflinge ihn aber nicht sofort, schleppten sie ihn lebend nach irgend einem Theile der Insel, konnte er daselbst nicht auch jetzt noch von ihnen gefangen gehalten werden? Vielleicht hatte Einer von ihnen auch in Ayrton den alten Kameraden aus Australien wieder erkannt, und sie nährten die Hoffnung, Jenen ihrer Partei wieder zu gewinnen? Wenn er sich zum Verräther hergab, mußte er ihnen ja von hohem Nutzen sein.
Jener Zufall fand in der Hürde also die günstigste Auslegung, und es schien nicht mehr unmöglich, Ayrton einst wieder aufzufinden. Seinerseits würde ja Ayrton, wenn er nur Gefangener war, gewiß Alles thun, um der Gewalt der Sträflinge zu entschlüpfen, und das wäre für die Colonisten eine mächtige Hilfe.
»Jedenfalls, bemerkte Gedeon Spilett, wird sich Ayrton, wenn’s ihm gelingt, sich zu retten, direct nach dem Granithause begeben, denn bei seiner Unbekanntschaft mit dem Mordanfalle auf Harbert kann er nicht darauf kommen, daß wir in der Hürde gefangen wären.
– O, ich möchte, er befände sich dort, im Granithause, rief Pencroff, und wir auch. Denn wenn die Schurken zwar unserer Wohnung nichts anzuhaben vermögen, so können sie doch das Plateau, unsere Pflanzungen und den Hühnerhof verwüsten.«
Pencroff, jetzt ein leibhaftiger Farmer, hing mit ganzem Herzen an seinen Feldern. Am ungeduldigsten wünschte aber Harbert die Rückkehr nach dem Granithause herbei, denn er wußte, wie nothwendig die Anwesenheit der Colonisten daselbst war. Und er klagte sich an, die Hauptursache ihres längeren
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