Die geheimnißvolle Insel
Hinauswagen auf die Straße gleichbedeutend ist mit dem Risico, eine Kugel zugesendet zu erhalten, ohne sie erwidern zu können. Seid Ihr aber nicht der Meinung, daß es nun an der Zeit wäre, auf jene Elenden einfach Jagd zu machen?
– Das ging auch mir durch den Kopf, stimmte Pencroff bei. Wir sind nicht die Leute dazu, vor einem Stückchen Blei zu zittern, und ich meinestheils bin, wenn Herr Cyrus dazu Ja sagt, sofort bereit, mich in den Wald zu begeben. Was Teufel! Ein Mann wiegt den andern auf!
– Aber auch fünf? fragte der Ingenieur
– Ich schließe mich Pencroff an, erwiderte der Reporter, und wir Beide, gut bewaffnet und Top mit uns …
– Mein lieber Spilett und Sie, Pencroff, entgegnete der Ingenieur, wir wollen Alles reiflich erwägen. Lagerten die Sträflinge an irgend einem bestimmten, uns bekannten Platze der Insel, und es handelte sich darum, sie heraus zu pürschen, so würde ich einem directen Angriffe gern zustimmen. Liegt aber jetzt nicht die Befürchtung nahe, daß sie sich so eingerichtet haben, um zuerst zum Schusse zu kommen?
– Nun, Herr Cyrus, erwiderte Pencroff, ›eine jede Kugel, die trifft ja nicht!‹
– Aber die, welche Harbert traf, ist nicht fehl gegangen, Pencroff, warf der Ingenieur dagegen ein. Vergeßt auch nicht, daß ich, wenn Ihr Beide die Hürde verlaßt, hier ganz allein die Vertheidigung übernehmen muß. Beweist mir, daß die Sträflinge Euch die Hürde nicht verlassen sehen, daß sie Euch nicht tief in die Wälder verirren lassen, und während Eurer Abwesenheit, wenn sie hier nur noch einen verwundeten Knaben und einen einzigen Mann vermuthen, keinen Angriff auf dieselbe unternehmen.
– Sie haben Recht, Herr Cyrus, antwortete Pencroff, in dem ein dumpfer Zorn aufschäumte, Sie haben freilich Recht. Sie werden Alles daran setzen, sich der Hürde, die sie wohl versorgt wissen, wieder zu bemeistern. Allein wären Sie nicht im Stande, sich gegen Jene zu halten O, warum sind wir nicht im Granithause!
– Dort läge die Sache freilich anders, sagte der Ingenieur. Dort würde ich nie zaudern, Harbert unter der Obhut Eines von uns allein zu lassen, während die drei Uebrigen durch die Wälder streiften. Wir befinden uns aber in der Hürde und damit in der Lage, hier aushalten zu müssen, bis wir vereinigt aufbrechen können.«
Die Schlußfolgerungen Cyrus Smith’s schnitten jede Einwendung ab; seine Gefährten verstanden ihn.
»Wäre nur Ayrton noch bei uns! sagte endlich Gedeon Spilett. Der arme Mann! Seine Rückkehr zu einem menschenwürdigen Dasein war nur von kurzer Dauer.
– Wenn er todt ist? … sprach Pencroff mit zweifelndem Tone.
– Glauben Sie denn, Pencroff, daß jene Schurken seiner geschont hätten?
– Ja wohl, wenn es in ihrem Interesse lag.
– Wie? – Sie nehmen an, daß Ayrton mit dem Wiederfinden seiner alten Kumpane vergessen habe, was er uns schuldet?
– Wer weiß? sagte Pencroff, der diesem bösen Verdachte nicht ohne Zweifel Raum geben wollte.
– Pencroff, fiel Cyrus Smith ein und ergriff des Seemanns Arm, Sie haben da einen recht bösen Gedanken und würden mich sehr kränken, ihn auch ferner auszusprechen. Ich bürge für Ayrton’s Treue.
– Auch ich, fügte der Reporter lebhaft hinzu.
– Ja … ja … Herr Cyrus … ich habe Unrecht, lenkte Pencroff ein. Es war ein böser und durch nichts gerechtfertigter Gedanke, der da in mir aufstieg. Doch sehen Sie, jetzt gehört mir mein Kopf nicht ganz. Diese Einsperrung in die Hürde bedrückt mich, und ich bin jetzt mehr überreizt, als je.
– Geduld, Pencroff, beruhigte ihn der Ingenieur. Nach welcher Zeit, lieber Spilett, glauben Sie, daß Harbert transportabel wird?
– Das läßt sich schwer sagen, Cyrus, antwortete der Reporter, denn eine Unklugheit könnte die schwersten Folgen nach sich ziehen. Doch schreitet die Reconvalescenz in erwünschter Weise fort, und bessern sich auch die Kräfte ebenso, so können wir in acht Tagen wieder davon reden.«
Acht Tage! Das verschob die Rückkehr zum Granithause bis auf die ersten Decembertage.
Jetzt war es schon seit zwei Monaten Frühling; die Witterung schön und die Wärme nahm täglich zu. Die Wälder der Insel prangten im herrlichsten Grün und es nahte die Zeit zur Einsammlung der gewohnten Ernte. An die Heimkehr nach dem Granithause sollten sich also umfänglichere landwirthschaftliche Arbeiten anschließen, denen nur durch die projectirte Expedition eine Unterbrechung bevorstand.
Man begreift leicht, wie schadenbringend
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