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Die geheimnißvolle Insel

Die geheimnißvolle Insel

Titel: Die geheimnißvolle Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wachsen Weidenbäume, und die Weidenrinde vermag in manchen Fällen die Chinarinde zu ersetzen.
    – So machen wir ohne Säumen einen Versuch!« trieb Cyrus Smith.
    Mit Recht ist die Weidenrinde als Surrogat der Chinarinde angesehen worden, ebenso wie die indische Kastanie, das Stechpalmenkraut, die Drachenwurz u.m.a. Jene Substanz mußte also offenbar versucht werden, obwohl sie der Chinarinde an Wirksamkeit nachsteht, und dazu besaß man sie auch nur im rohen Naturzustande, da alle Mittel fehlten, das wirksame Alkaloid derselben, das Salicin oder Weidenbitter, daraus darzustellen.
    Cyrus Smith schnitt selbst aus einer schwarzen Weidenart mehrere Stücke Rinde aus; im Granithause wurde dieselbe gepulvert und am Abend Harbert eingegeben.
    Die Nacht verlief ziemlich gut. Harbert delirirte ein wenig, doch das Fieber blieb sowohl in der Nacht, als am nächstfolgenden Tage aus.
    Pencroff schöpfte einige Hoffnung. Gedeon Spilett sprach sich nicht aus. Intermittirende Fieber brauchen eben nicht Tag für Tag aufzutreten, sondern setzen wohl einen Tag ganz aus, um als sogenannte dreitägige Wechselfieber erst am nächstfolgenden wieder zu kehren. Den andern Tag erwartete man erklärlicher Weise mit großer Unruhe.
    Außerdem zeigte sich, daß Harbert auch in der fieberfreien Zeit wie »zerschlagen« hindämmerte, einen schweren Kopf hatte und zu Schwindelanfällen neigte.
    Gedeon Spilett erschrak vor dieser neuen Complication; er nahm den Ingenieur bei Seite.
    »Das ist ein bösartiges Fieber! sagte er zu ihm.
    – Ein bösartiges Fieber! entgegnete Cyrus Smith; Sie täuschen sich, Spilett. Ein bösartiges Fieber tritt nicht so mir nichts dir nichts auf, es will seine Ursache haben! …
    – Ich täusche mich nicht, erwiderte der Reporter. Harbert wird in den Sumpfgegenden der Insel den Keim in sich aufgenommen haben, und das genügt schon. Einen ersten Anfall hat er schon durchgemacht; wenn ein zweiter kommt und es gelingt uns dann nicht, einen dritten zu verhindern … so ist er verloren!
    – Aber die Weidenrinde …
    – Ist hier nicht ausreichend, fiel der Reporter ein, und ein dritter Anfall eines bösartigen Fiebers, der nicht durch Chinin vorher abgeschnitten wurde, ist allemal tödtlich.«
    Zum Glück entging Pencroff der Inhalt dieses Gespräches; er hätte darüber den Verstand verloren.
    Man begreift, in welch’ ängstlicher Unruhe der Ingenieur diesen Tag und die darauf folgende Nacht zubrachte.
    Gegen Mittag, am 7. December, stellte sich der zweite Fieberanfall ein. Die Krise war schrecklich. Harbert glaubte selbst sich verloren; er streckte die Arme nach Cyrus Smith, nach Spilett und nach Pencroff aus … er wollte ja nicht gern sterben. Die Scene war herzzerreißend. Pencroff mußte hinausgeführt werden.
    Der Anfall dauerte wieder fünf Stunden lang; es lag auf der Hand, daß Harbert einen dritten nicht überstehen würde.
    Die Nacht ward furchtbar. Im Delirium sprach Harbert Worte, welche das Herz seiner Freunde zerfleischten. Er schweifte in Gedanken umher, kämpfte gegen die Sträflinge, rief nach Ayrton. Er betete zu jenem geheimnißvollen Wesen, ihrem jetzt verschwundenen Beschützer, von dessen Bilde er gleichsam besessen war … Dann verfiel er in tiefe Prostration mit vollkommenem Aufhören jeder Geistesthätigkeit … Mehrere Male hielt ihn Gedeon Spilett schon für todt.
    Am Morgen des 8. December die gleiche Schwäche. Harbert’s abgemagerte Hände faßten krampfhaft die Decken. Zwar hatte man ihm neue Dosen zerstoßener Rinde beigebracht, doch der Reporter versah sich keines Erfolges derselben.
    »Wenn wir ihm vor morgen früh kein energischeres Fieberheilmittel verabreicht haben, behauptete er, so ist Harbert dem Tode verfallen.«
    Die Nacht kam heran; allem Anscheine nach die letzte Nacht des muthigen, guten, intelligenten Kindes, das Alle wie einen Sohn liebten. Das einzige Hilfsmittel gegen diese verderbliche Krankheit, das einzige ihr überlegene Specificum fand sich nicht auf der Insel Lincoln!
    In der Nacht vom 8. zum 9. litt Harbert noch mehr an Delirien. Seine Leber zeigte sich stark angeschwollen, das Gehirn so tief ergriffen, daß er Niemand mehr erkannte.
    Würde er überhaupt bis zum Morgen leben, bis zu jenem dritten Anfalle, der ihn unfehlbar hinwegraffen mußte? Kaum schien es glaublich. Seine Kräfte waren zu Ende, und in den Krisen-Intervallen lag er völlig leblos da.
    Gegen drei Uhr Morgens stieß Harbert einen entsetzlichen Schrei aus. Er krümmte sich scheinbar unter

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