Die geheimnißvolle Insel
einer letzten Convulsion. Nab, der bei ihm wachte, stürzte erschrocken in das benachbarte Zimmer, wo er auch die Uebrigen wachend antraf.
Eben jetzt ließ Top ein eigenthümliches Bellen hören …
Alle kamen in’s Zimmer, und es gelang ihnen, das sterbende Kind, welches im Begriff war aus dem Bette zu stürzen, zurückzuhalten, indeß Gedeon Spilett, der dessen Arm gefaßt hatte, fühlte, daß sich der Puls allmälig hob …
Es war fünf Uhr Morgens. Die Strahlen der aufsteigenden Sonne begannen eben durch die Fenster zu dringen. Der Tag versprach schön zu werden, und dieser Tag sollte des armen Harbert letzter sein! …
Da glänzte ein Sonnenstrahl auf dem Tische neben dem Krankenbette.
Plötzlich schrie Pencroff laut auf und wies nach einem auf dem Tische befindlichen Gegenstand …
Es war ein kleines, längliches Schächtelchen, auf dem Deckel mit der Aufschrift:
Schwefelsaures Chinin .
Elftes Capitel.
Unlösbares Räthsel. – Harbert’s Wiedergenesung. – Die zu durchforschenden Theile der Insel. – Vorbereitungen zur Abreise. – Erster Tag. – Die Nacht. – Zweiter Tag. – Die Kauris. – Das Casuarpärchen. – Fußspuren im Walde. – Ankunft am Schlangenvorgebirge.
Gedeon Spilett ergriff das Kästchen und öffnete es. Sein Inhalt bestand aus etwa 200 Gran eines weißlichen Pulvers, von dem er nur sehr wenig auf die Zunge brachte. Die ungemeine Bitterkeit dieser Substanz konnte ihn nicht täuschen: das war das kostbare Alkaloid der Chinarinde, das allgemein anerkannte Mittel gegen periodische Fieber.
Dieses Pulver mußte Harbert ohne Zaudern verabreicht werden. Wie es hierher kam, sollte später Erörterung finden.
»Schnell Kaffee!« verordnete Gedeon Spilett.
Einige Minuten später brachte Nab eine Tasse heißen Aufguß herein. Gedeon Spilett schüttete in denselben ungefähr achtzehn Gran (= wenig über 1 Gramm) Chinin, und man flößte Harbert diese Mischung ein.
Noch war es Zeit dazu, da sich der dritte Anfall des perniciösen Fiebers noch nicht gezeigt hatte, und – fügen wir gleich hier dazu – er sollte auch gar nicht zum Ausbruch kommen.
Alle gaben wieder einer schwachen Hoffnung Raum. Der geheimnißvolle Einfluß hatte sich wiederum offenbart, und gerade, als die Noth am höchsten, als Alles der Verzweiflung nahe war.
Nach einigen Stunden schlief Harbert ruhiger. Die Colonisten konnten jetzt von jenem Zwischenfalle sprechen. Die Intervention des Unbekannten lag hier handgreiflicher als je zu Tage. Wie konnte er aber in der Nacht bis in das Granithaus hineindringen? Das blieb absolut unerklärlich, und in der That war das Auftreten dieses »guten Geistes der Insel« nicht minder eigenthümlich, als er selber.
Im Verlaufe dieses Tages nahm Harbert das Chinin von drei zu drei Stunden wiederholt ein.
Schon vom andern Tage ab zeigte sich eine gewisse Besserung. War er auch noch nicht geheilt, denn die intermittirenden Fieber neigen zu heimtückischen Rückfällen, so fehlte es ihm doch nicht an der nöthigen Pflege. Dazu war ja das Specificum zur Hand, und der, der es gebracht, gewiß nicht fern. Jetzt zog die Hoffnung in Aller Herzen ein.
Sie sollte nicht zu Schanden werden. Zehn Tage später, am 20. December, trat Harbert in das Stadium der Reconvalescenz. Er fühlte sich sehr schwach und blieb einer strengen Diät unterworfen, doch auch von jedem erneuten Anfall verschont. Der einsichtsvolle Knabe unterwarf sich aber auch widerstandslos jeder für nöthig befundenen Anordnung. Er freute sich so sehr darauf, wieder zu genesen!
Pencroff glich einem Menschen, der von einem Abgrunde weg gerettet worden ist. Er machte fast Krisen der Freude durch, welche nahe an Delirien grenzten. Nach Vorübergang des Zeitpunktes für den erwarteten dritten Anfall erstickte er den Reporter fast in seinen Armen. Von da ab nannte er ihn nur noch den Doctor Spilett.
Der wirkliche Doctor blieb in diesem Falle freilich noch zu entdecken.
»Er wird gefunden werden!« versicherte der Seemann.
Und sicher, dieser Mann, mochte er sein wer er wollte, war von einer handfesten Umarmung des würdigen Pencroff bedroht.
Der Monat December ging zu Ende und mit ihm das Jahr 186/, jenes Jahr, das den Colonisten so harte Prüfungen auferlegt hatte. Sie traten mit prächtigem Wetter und einer Tropenhitze, welche nur die Meerwinde zeitweilig milderten, in das neue Jahr ein. Harbert erwachte wieder mehr und mehr, und sog in seinem an ein Fenster des Granithauses gerückten Bette die heilsame, mit den
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