Die geheimnißvolle Insel
Einsiedlern doch schon reichlich alle Lebensbedürfnisse und versprach in den dichtbewaldeten großen Strecken zwischen der Mercy und dem Krallen-Cap gewiß noch neue Schätze. Nur einen einzigen Mangel empfanden die Colonisten der Insel Lincoln recht hart.
Wohl hatten sie stickstoffhaltige Nahrung in Menge, ihre Körperkraft zu erhalten, Vegetabilien, um die Wirkung derselben zu mäßigen; die der Gährung unterworfenen holzigen Wurzeln von Drachenbäumen lieferten ein säuerliches, einem Biere ähnliches Getränk, das dem einfachen Wasser vorzuziehen war; sie hatten selbst ohne Zuckerrohr oder Runkelrüben sich Zucker zu verschaffen gewußt, indem sie den Saft von »
acer saccharinum
«, dem sogenannten Zucker-Ahorn, der in den gemäßigten Zonen vielfach gedeiht und auf der Insel Lincoln angetroffen wurde, auffingen; sie entbehrten nicht eines sehr angenehmen Thees; sie besaßen Salz, das einzige Mineral, das als solches zur Nahrung gehört, im Ueberfluß – aber eines fehlte ihnen, das Brod!
In der Folge war dieses Nahrungsmittel vielleicht durch irgend ein Aequivalent, wie das Mehl des Sagobaumes oder das Satzmehl des Brodfruchtbaumes zu ersetzen, denn in der That lag die Möglichkeit nahe, daß die Wälder des Südens jene so kostbaren Bäume enthielten, bis jetzt jedoch war man denselben noch nicht begegnet.
Hierin sollte ihnen aber die Vorsehung direct zu Hilfe kommen und zwar auf eine Weise, daß Cyrus Smith mit allen seinen Kenntnissen niemals im Stande gewesen wäre, dasjenige zu ersetzen, was Harbert in dem Futter seiner Jacke, das er auszubessern im Begriffe stand, eines Tages in die Hand fiel.
Gerade befanden sich die Colonisten – draußen regnete es in Strömen – in dem großen Saale des Granithauses versammelt, als der junge Mann plötzlich ausrief:
»Hier, Mr. Cyrus, ein Getreidekorn!«
Hierbei zeigte er seinen Gefährten ein einziges Korn vor, das aus seiner durchlöcherten Tasche den Weg in’s Futter gefunden hatte.
Das Vorhandensein desselben erklärte sich aus Harbert’s Gewohnheit, in Richmond einige Holztauben, die ihm Pencroff geschenkt hatte, zu füttern.
»Ein Getreidekorn! wiederholte lebhaft der Ingenieur.
– Ja, Mr. Cyrus, aber nur eines, ein einziges!
– Ei, mein Junge, rief da Pencroff dazwischen, was sind wir denn damit gebessert? Was können wir aus einem einzigen Körnchen machen?
– Brod, entgegnete ihm ganz ernsthaft Cyrus Smith.
– Ja wohl, Brod, Kuchen, Torten! fuhr der Seemann fort. Doch an dem Brode, das wir aus diesem einzelnen Korn erhalten, werden wir nicht sobald ersticken!«
Harbert, der seinem Funde selbst keine besondere Wichtigkeit beilegte, wollte das Körnchen eben bei Seite werfen, doch Cyrus Smith nahm es ihm ab, besah dasselbe genauer, erkannte, daß es in unversehrtem Zustande war und wandte sich nun an den Seemann.
»Pencroff, sagte er und sah diesem gerade in’s Gesicht, ist Ihnen bekannt, wie viel Aehren ein Korn treiben kann?
– Nun, doch wohl eine, erwiderte der Gefragte etwas erstaunt.
– Zehn, Pencroff; und wissen Sie, wie viel Körner eine Aehre trägt?
– Wahrhaftig, nein!
– Im Mittel achtzig, fuhr Cyrus Smith fort. Wenn wir demnach dieses einzige Körnchen pflanzen, so können wir bei der ersten Ernte 800 daraus gewinnen, welche bei einer zweiten 640,000, bei der dritten 512,000,000 und bei der vierten mehr als 400 Milliarden Körner geben. Sehen Sie, so steigt das!«
Cyrus Smith’s Genossen lauschten seiner Rede, ohne zu antworten. Ueber solche Zahlen erstaunten sie, und doch waren jene richtig.
»Ja wohl, meine Freunde, nahm der Ingenieur wieder das Wort, derart sind die arithmetischen Progressionen der fruchtbaren Natur. Und doch, wie sehr verschwindet die Vervielfältigung des Weizenkornes, das nur 800 Körner zu erzeugen im Stande ist, gegen die Mohnpflanze, welche 32,000, oder gegen die Tabakstande, welche 360,000 Samenkörner hervorbringt? Ohne die vielfältigste Zerstörung ihres Samens würden diese Pflanzen bei ihrer enormen Fruchtbarkeit in wenig Jahren die ganze Erde überwuchern.«
Pencroff im Examen. (S. 216.)
Der Ingenieur hatte aber seine Inquisition noch nicht beendet.
»Nun, Pencroff, redete er diesen noch einmal an, wissen Sie vielleicht, wieviel 400 Milliarden Körner Scheffel ausmachen.
– Nein, nein, sagte der Seemann, ich weiß überhaupt nur, daß ich ein Dummkopf bin.
– Nun, 130,000 Körner auf den Scheffel gerechnet, ergiebt diese Zahl mehr als 3,000,000 Scheffel.
– Drei
Weitere Kostenlose Bücher