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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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berichteten andererseits, sie hätten einen Leuchtstreif am Himmel gesehen, vielleicht wäre ein Meteorit in den See gestürzt. Man sei dabei, nach Spuren zu suchen. Sollte es sich um den von mir in die Spree geworfenen Zylinder handeln? Dann musste er trotz der kaum vorhandenen Strömung mit einer sehr hohen Geschwindigkeit von der Friedrichbrücke fortgetrieben worden sein. Und dies in die falsche Richtung.
    Die einzige Erklärung, die mir einfiel, war der sich nähernde Dampfer. Vielleicht war der Zylinder in sein Schlepptau geraten und bis zur Rummelsburger Bucht mitgezogen worden. Nach den Feiertagen las ich in einer Berliner Tageszeitung auf Seite 18 unter der Rubrik „Polizeimitteilungen“, dass sich in den späten Abendstunden des 24. Dezember in Berlin-Mitte ein schwerer Unfall ereignet hätte. Ein schwarzer Audi A8 wäre mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Straße Unter den Linden von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum auf dem Mittelstreifen geprallt, das Fahrzeug wäre sofort in Flammen aufgegangen und alle drei Insassen, wahrscheinlich ausländische Geschäftsleute aus dem Iran, die genaue Identität müsse erst noch ermittelt werden, seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Dies klang nach Mister Smith und seinen beiden Helfern. Hatte das Feuer die B-Bombe zerstört oder würde der Virus sich irgendwann verbreiten? Fragen, auf die ich keine eindeutige Antwort erhalten sollte. Fakt war, es gab keine Explosion und auch nach mehreren Tagen und Wochen keine Anzeichen einer Seuche, es gab keinen geglückten Anschlag. Ich atmete einige Male tief ein und aus. Der Druck wich von meiner Brust. Ich wusste, dass der Dom ein Wahrzeichen Berlins bleiben würde. Und einige Tausend Menschen würden weiter leben, vielleicht, wie Will Smith meinte, irgendwann in einer Klinik an Lungenkrebs sterben oder auf einer Autobahn beim Fahren kurz und dann für immer einschlafen, wie auch immer, sie würden bis dahin noch einiges erleben, mehr oder minder Spaß haben und ihre Körper würden nicht durch irgendeinen modernen Sprengstoff atomisiert oder von einem Virus zerfressen werden.
    Ich würde die kommenden Wochen besonders genießen. Zumal mir bewusst wurde, dass ich in der Realzeit angekommen war. Wahrscheinlich hatte ich den Anschlag genau deshalb verhindern können, ich hatte damit nicht die abgelaufene Geschichte beeinflusst, sondern etwas in der Gegenwart getan, selbst Geschichte gestaltet, wenngleich für andere nicht sichtbar. Vielleicht hatte die Sanduhr ihre magische Kraft verloren, eine Rückkehr in die Vergangenheit war, wie ich gestern Abend gemerkt hatte, nicht möglich. Vielleicht hatte aber mein Gebet mehr bewirkt, als die Zeilen von Cagliostro. Oder es gab überhaupt keinen Zusammenhang und das Fahrzeug war rein zufällig verunglückt?
    Doch dies schien mir noch unwahrscheinlicher als alle anderen Vermutungen. Ein Umstand bereitete mir großes Kopfzerbrechen. Was war mit dem Toten in der Loge N des Berliner Doms? Er musste inzwischen doch gefunden worden sein. In den Zeitungen der folgenden Tage gab es keine entsprechende Nachricht. Er konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben. Oder doch? Der Kampf war real gewesen, mein Arm schmerzte noch immer von der Kraftanstrengung. Schmerzen kann man sich einbilden, aber blaue Flecken und Blutergüsse waren sichtbar und auch vonseiten Dritter verifizierbar. Meine Frau hatte sehr wohl nach einer plausiblen Erklärung für diese und meine Gesichtsblessuren verlangt.
    „Ich möchte dir gerne eine Erklärung geben, eine vollständige und wahrheitsgetreue. Aber du wirst mich für verrückt halten.“
    „Meiner Liebe wird deine Erklärung keinen Abbruch tun, sofern keine andere Frau im Spiel ist. Ich habe dich dreißig Jahre lang geliebt und werde auch einen Verrückten lieben. So groß zur Vergangenheit kann der Unterschied außerdem nicht sein.“
    „Danke für deine erfrischende Offenheit. Zunächst lass dir sagen, dass du mich nicht dreißig Jahre lang liebst, sondern dreiundsechzig, zweimal dreißig Jahre und 1992 und 1993 sowie 2008 gleich dreimal mit mir erlebt hast.“
    Ich bezweifele, ob sie meinen Worten Glauben schenkte, aber sie rief zumindest keinen Arzt oder ließ mich entmündigen. Und sie ermunterte mich, die Geschichte aufzuschreiben.
    „Vielleicht hilft dir dies, alles zu verarbeiten.“
    Dazu reicht das Beschreiben weißer Blätter sicher nicht aus. Zu viele Fragen blieben ungeklärt. Der Gedanke an die Leiche im Dom beschäftigte

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