Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
meine Geschichte kennen, werden Sie mich verstehen und vielleicht den wachsenden Weltproblemen, Altersgebrechen und dem sich ausbreitenden Schwachsinn um Sie herum mit mehr Geduld und mit ein wenig Humor und einer nötigen Portion Fatalismus oder Zukunftsvertrauen begegnen. Die Welt ist noch nicht verloren. Vorausgesetzt Sie sind bereit, Ihrem Gewissen und nicht der Welt zu folgen.
Dies ist also die Wahrheit über meine letzten Jahrzehnte und über die Grenzen der Wissenschaft, des Verstandes, der Macht und des Bösen.
1. Kapitel
Es war einmal ein Julitag des Jahres 1990. Deutschland wurde an diesem Tag zumindest währungstechnisch wieder vereint. Meine Frau und ich warfen die Hundert-DM Scheine im Wohnzimmer herum wie kleine Kinder ihre Spielsachen. Das Einsammeln ging aber schnell, denn so viele Scheine waren es leider noch nicht, die wir damals unser eigen nennen durften. Aber doch genug, um darüber nachzudenken, ob wir uns endlich den lang gehegten Wunsch einer Reise in die bis dahin hinter Mauer und Stacheldraht versteckt gehaltene Restwelt erlauben könnten. Die Route 66 wäre mein Traum gewesen, aber das Geld hätte leider nur für einen Hinflug gelangt. Der Traum meiner Frau war dagegen realistischer. Eine Dreitages-Busfahrt in die Stadt der Verliebten: Paris.
Zwei Übernachtungen in einem Pariser Vorort, wo es damals zum Glück noch nicht so viel brannte und die Jugendlichen nur hin und wieder einen Touristen um seine Brieftasche und Armbanduhr erleichterten. Raubmorde waren eher die Ausnahme.
Eine Stadtrundfahrt mit Besuch des Eiffelturmes und - nicht zu vergessen, Frühstück und Abendbrot waren bei der auf einem Plakat angebotenen Reise inklusive. Alles für einhundertundzwanzig DM pro Person. Es gab kein langes Überlegen. Bereits am nächsten Tag war ich am Kurfürstendamm und buchte beim dortigen Busunternehmen den Traum meiner Frau. Für mich sollte es – zumindest von den langfristigen Folgen her - der Albtraum meines Lebens werden. Über die Reise selbst gibt es nicht allzu viel zu berichten. Ich habe später versucht, mich an viele Einzelheiten zu erinnern, um einen möglichen Zusammenhang mit den mysteriösen Ereignissen der Zukunft erkennen zu können. Aber dies ist mir bis heute nicht gelungen. Die meisten Eindrücke waren nicht von langer Dauer. Ich könnte nicht einmal sagen, was meine Frau und ich auf dem Eiffelturm zu uns nahmen, von besonders guter Qualität war das Essen auf keinen Fall. Von der Vorstellung im Moulin Rouge blieb mir fast keine einzige Nummer im Gedächtnis. Nur an einen Fakir erinnere ich mich, der in ein großes Wasserbecken sprang und dort einen müde schwimmenden Alligator dazu bewegen wollte, bösartig zu werden und mit ihm zu kämpfen. Als ihm dies nicht gelang, wurde er selbst böse und packte den Alligator wütend von hinten und drehte sich mit ihm Wasser, als ob eine Wasserwalze ihre Arbeit aufgenommen hätte. Angst um den Fakir musste man nicht haben. Vielleicht war es die unfreiwillige Komik der Situation, die sich bei mir unauslöschlich einprägte.
An die bestimmt recht hübschen Tänzerinnen, die im Moulin Rouge aufgetreten sind, habe ich kein einziges, sei es auch noch so verschwommenes Bild im Gedächtnis. Das Wahrnehmen unserer Realität soll Interesse geleitet sein und von den individuellen Bedürfnissen und Emotionen mitbestimmt sein. Aber ich bin nicht schwul. Glaube ich zumindest. Dieses „ich glaube“ zollt Theorien Respekt, die besagen, in jedem Menschen steckten Anlagen des jeweils anderen Geschlechts und die sich am meisten gegen diese versteckten oder unterdrückten Eigenschaften und Veranlagungen wehrten oder diese gar verdammen würden, wären in Wirklichkeit am meisten von ihnen infiltriert und ein Umschlagen zum gleichen Geschlecht jederzeit möglich. Diese Gefahr scheint bei mir recht klein zu sein, ich ziehe aus tiefstem Herzen oder besser - Hoden, hübsche Frauenbeine behaarten Männerbeinen vor. Dennoch blieb kein Bild des damaligen Revueabends in irgendeinem Teil meines Hirns hängen, in dem eine Frau eine Rolle spielte, sei sie auch noch so nackt gewesen, ausgenommen meine eigene. Aber dies passierte erst im Hotelzimmer. Letztlich und dies ist eine meiner letzten festen Überzeugungen, nachdem ich einige Male die gleichen Jahre durchlebt habe: Das Gedächtnis lässt sich wohl neurobiologisch analysieren, nur erklären wird man es nie können. Aber dies trifft letztlich auf Millionen von anderen Dingen auch zu und bringt mich und
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