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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Geheimnisse.«
    Sean blieb stehen und blickte zur Kuppel des Felsendoms hinüber. Vor mehr als 600 Jahren hatte der Kalif Abd al-Malik dieses Heiligtum neben der Al-Aksa-Moschee errichten lassen. Uthman hatte Sean die Geschichte dieses Bauwerks erzählt, das für Christen, Juden und Muslime gleichermaßen eine heilige Stätte darstellte. Mohammed war hier, vom Engel Gabriel begleitet, zu Allah aufgestiegen. An einer Stelle sah man angeblich den Hufabdruck seines Lieblingspferdes, in dessen Sattel er gesessen hatte.
    Sean löste seinen Blick von den Kuppeln der Bauwerke und sagte: »Meine Neugierde wird von Stunde zu Stunde größer. Was sollen wir jetzt tun?«
    »Merk dir genau den Weg, sonst verläufst du dich. Ich bringe dich zu deinen Freunden. Morgen Abend treffen wir uns dort, und dann zeige ich dir die Geheimnisse von Al Quds.« Er richtete seinen Blick zum Himmel. »Oder wenigstens ein paar dieser Geheimnisse.«
    Durch Gassen, die Sean nie zuvor gesehen hatte, und vorbei an Wohnstätten, Händlerständen, Handwerkerläden und tausend Türen, Vorhängen und Fensterchen führte Suleiman den jungen Fremdling in jenen Teil der Stadt zurück, den Sean leidlich gut kannte. Kurze Zeit danach, in der Abenddämmerung, klopfte Sean an die Tür des Hauses, in dem seine Gefährten lebten.

18
    Februar Anno Domini 1324 –
    Von Uhldingen nach Sankt Gallen
     
    Elazar ben Aaron hatte im Morgengrauen in einer Händlerstation einen heißen Würztrunk bekommen und ein Pferd gekauft, einen alten, gutmütigen braunen Wallach, der nach einer halben Stunde scharfen Galopps zuschanden geritten worden wäre, wenn es Elazar darauf angelegt hätte. Aber er legte keinen Wert auf einen feurigen Hengst, er zog es lediglich vor, zu reiten, als zu Fuß zu gehen.
    Weit abseits des Weges nach Süden, am Waldrand, suchte er sich im Schutz dichter Büsche ein ruhiges Plätzchen, tränkte das Pferd und ließ es die wenigen Blätter abweiden. Er schlief ungestört zwei Stunden und ritt weiter, bis er in der Dämmerung an zu einem vertrauenswürdig wirkenden Gasthof kam. Das Essen dort war einfach und das Bier bitter, aber genießbar. Nach dem Abendmahl schlief er erneut tief und fest auf einem sauberen Lager im Stall, sodass er seinen Weg erfrischt fortsetzen konnte.
    Zwei Dutzend Tage lang ritt Elazar abseits der wenigen breiten Straßen auf verschlungenen Wegen nach Süden. Zwei Dutzend Nächte schlief er, wo er gerade war. Für das Pferd sorgte er derweil stets gut. Das Tier dankte es ihm mit Folgsamkeit und holprigem Trab.
    Nach dieser Zeit hätte selbst der Vater den jungen Mann kaum noch erkannt. Elazar trug einen alten, aber gut erhaltenen Reitermantel, dicke Jacken und eine wollene Mütze. Sein Bart, der bis zum Hals wucherte, war drei Fingerbreit lang und mittelbraun, als er, von Sankt Gallen kommend, im Schneesturm über Ruswil auf Luzern zuritt.
    Mit jeder Stunde, sicherlich mit jedem Tagesritt, wurde die Erinnerung an den Schrecken von Überlingen undeutlicher. Der Schmerz kapselte sich ein und wurde zum Kern einer dickschaligen Nuss. Nie würde Elazar vergessen können, was geschehen war und was er gesehen hatte, aber diese Erinnerungen bestimmten nicht mehr seine Gedanken. Dafür nahmen die Sorgen um das tägliche Überleben zu. Im Sattel führte er lange Selbstgespräche, wobei er mehr und mehr in zwei Rollen schlüpfte. Er fragte und gab sich Antworten, und nur die zuckenden Ohren des Pferdes zeigten ihm, dass er in Wirklichkeit allein war und fror.
    »Das Ziel, das am weitesten entfernt ist, kann ich am leichtesten erreichen«, sagte er einmal. »Der Weg dorthin ist das erste Ziel. Bis ich dort bin, wird mich der Herr so erleuchtet haben, dass ich mein Ziel kenne.«
    »Ob Gott dich auf dem langen, unerforschlichen Weg jeden Tag und jede Nacht schützen wird – wer weiß?«, hielt der andere Elazar dagegen.
    »Ich habe nichts anderes mehr als Gottvertrauen.«
    »Und Goldstücke, die den Weg erleichtern und das Ziel näher rücken lassen.«
    »Und fünf mal habe ich welche von unseren Leuten getroffen, die mir geholfen haben wie dem eigenen Sohn.«
    »Dir wird noch oft geholfen werden. Unsere Leute sind überall.«
    Eine heulende Bö riss ihm die nächsten Worte von den Lippen, so dass er sich selbst nicht mehr verstand.
    Die Stadt war in tiefem Schnee versunken, der schwer auf den Dächern lag und überall zu großen Haufen zusammengeschoben und geschaufelt worden war. Im Schutz der dicken Mauern und in der Hitze des Kamins

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