Die geheimnisvollen Pergamente
zugehört. Er betrachtete mich, hat sie mir gesagt, nicht ohne Wohlwollen. Das wäre bei uns Muslimen undenkbar! Sie hat, so wie ich, ihre Mutter früh verloren. Ihr Vater und sie kommen aus einem Land, das Frankreich heißt. Sie erinnert sich kaum daran, beherrscht aber die Sprache ihrer Heimat, denn ihr Vater hat sie darin unterrichtet. Er heißt Dentrevez, mehr weiß ich nicht.«
»Du besuchst sie in ihrem Haus. So viel weiß ich von dir«, unterbrach ihn Sean.
Suleiman nickte lächelnd und sagte: »Na ja, ich darf mit ihr im Garten oder auf der Terrasse reden. Hinter einem Wandschirm hört immer ihre Erzieherin zu. Immerhin: Wir haben uns schon viele Male geküsst. Ah! Unter dem Kleid hab ich ihre köstlichen Brüste erfühlen dürfen. Sie kann Arabisch sprechen und sogar ziemlich gut schreiben. Ich hab ein paar Briefe von ihr.«
Sean ließ sich sein Erstaunen nicht anmerken. Zum ersten Mal sprach Suleiman freimütig über eines seiner Geheimnisse, und dies ausgerechnet ihm gegenüber. Er hoffte, dass es nicht die einzige Erzählung dieser Art bleiben würde, denn zwischen ihnen sollte ein ebenso großes Vertrauen entstehen wie zwischen den anderen Gefährten.
Sean sah kurz zu dem Bettler hinüber und fragte: »Dass du Mariam, eine Christin, zur Frau nehmen willst, wird deinen Vater schwerlich zu Freudentänzen veranlassen.«
»Allahu akbar. So ist es.« Suleiman nickte schwer. »Er weiß, dass ich eine Christin liebe, aber ihren Namen kennt er nicht. Er weiß auch nicht, in welchem Haus sie lebt, nur dass es irgendwo in der Nähe des Fischmarkts steht. Deshalb lässt er mich von Abdullah und von einem Botenjungen aus seinem Haus verfolgen und beobachten. Von Hasan al-Maqrizi.« Suleiman lachte selbstbewusst, fast übermütig. »Ich weiß das, und sie werden mich niemals sehen, wenn ich es nicht will. Ich bin unsichtbar wie eine Schlange, denn ich kenne hier jeden Stein.«
»Du kennst auch jeden Bettler, wie es scheint.« Suleiman reichte Sean das Blatt, in das der Händler die gerösteten Pistazien eingeschlagen hatte. Sie bissen auf die knisternden knackenden Nüsse, und nach einer Weile sagte Suleiman: »Zu den Bettlern sage ich dir später etwas. Das ist eine andere Geschichte.«
»Nun gut. Also zu Abdullah und diesem Hasan.«
»Abdullah ist seit vielen Jahren der Oberste Wächter des Hauses meines Vaters. Ein kluger, aber auch verschlagener Mann. Er ist ein großer Krieger, und er hat mich gelehrt, alle möglichen Waffen richtig zu gebrauchen und so zu kämpfen, dass ich stets siege. Er und seine Männer beschützen auch den übrigen Besitz meines Vaters – also sozusagen auch mein Erbe.«
Sean zerkrümelte einige Pistazienschalen zwischen den Handflächen und knurrte: »Und, offensichtlich im Auftrag deines liebenswürdigen Vaters, entführen er und seine Männer auch arglose Reiter auf dem Weg nach Jerusalem.«
Suleiman starrte Sean eine Weile lang an, dann senkte er verlegen den Blick und murmelte kaum hörbar: »So ist es. Aber ich habe bisher nicht erfahren können, aus welchem Grund. Er hasst Juden und Christen, obwohl er ein guter Muslim ist. Mein Vater ist ein ehrlicher Händler, der sich fünf Mal am Tag gegen Mekka verneigt und viel den Armen spendet. Bevor du weiterfragst: Abdullah ibn Aziz hat auch die wütende Menge vor eurem Haus zusammengerufen und euch nachts die Mörder geschickt.«
»Im Auftrag deines ehrlichen, frommen Vaters, der ein so guter Muslim ist, wie ich vermute.«
»Ja.« Abermals zeigte Suleimans Gesicht echte Scham. Nach einem längeren Schweigen stellte Sean die nächste Frage. Der Bettler hatte sich noch immer nicht gerührt.
»Müssen wir im Haus al-Mustansirs weiterhin nächtliche Überfälle oder Ähnliches befürchten?«
»Morgen übt Abdullah mit mir. Ich werde mit ihm reden und ihm sagen, dass ich ihn und meinen Vater an den Emir verrate, wenn sie euch nicht in Ruhe lassen. Du musst bitte verstehen, dass ich euch den Namen meines Vaters noch nicht nenne.« Er schluckte und senkte die Stimme. »Bitte, rede mit deinen Freunden noch nicht über das, was ich dir erzählt hab. Noch nicht! Es ist noch nicht die Zeit.«
»Ich verspreche es«, antwortete Sean. »Ehrlich! Willst du, dass ich es beschwöre?«
Suleiman schüttelte den Kopf.
»Dein Ritter Henri und der alte, gelehrte Joshua, und auch Uthman, der Sarazene – ihr habt mir gezeigt, dass ein Mann fromm sein und an seinen eigenen Gott glauben kann, ohne dass der andere ihn deswegen missachtet oder gar
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