Die geheimnisvollen Pergamente
nahm einen Schluck und schüttelte langsam den Kopf.
»Du wirst dort am Grab oder in dessen Nähe genügend Hilfe erhalten. Juden erkennen einander leicht, auch wenn du auf deinem weiteren Weg nicht anders aussehen sollst wie ein gewöhnlicher Wanderer.«
Aus diesem Grund, sagte sich Elazar, hatte der Rabbi einen Großteil von Elazars Geld in silberne und goldene Münzen umgetauscht, die wahrscheinlich in vielen Ländern gültig waren. Die wertvollsten Münzen, aber auch silberne und goldene Blättchen, waren in Elazars Gürtel und in die Stiefel eingenäht worden.
»Ein gewöhnlicher Wanderer auf dem Weg nach Jerusalem«, sagte Elazar leise. »Das ist eine große Aufgabe für mich.«
»Schiffe dorthin findest du im französischen Hafen Marseille oder in Genua und in Venedig. Sie fahren nach Zypern und nach Akkon. Zehntausende Pilger kamen auf diese Weise ins Heilige Land.«
»Wie viele Jahre würde ich für diese Pilgerreise brauchen?«
Rabbi Baruch hob die Schultern und überlegte lange.
»Ich kenne Berichte, darin ist von Monaten die Rede.« Er deutete zur Decke. »Widrige Umstände, Windstille oder ein Sturm… nein, sage ich, es dauert nicht so lange, wie du befürchtest. Zwar wirst du, wenn du an Simons Grab betest, älter und viel erfahrener sein, aber es gibt andere Ziele. Denke darüber nach, Elazar.«
Es schien, als habe Rabbi Baruch Cohen seinen Vater gekannt, dachte Elazar, aber er hatte nicht gefragt. Die Antwort, welche auch immer, hätte Wunden aufgerissen, die gerade zu vernarben begannen. Er spürte, wie die Wärme des Getränks sich in seinem Körper ausbreitete, ähnlich wie die Wärme und Herzlichkeit, die ihm in diesem Haus zuteil wurde.
»Wenn der Schnee geschmolzen ist, werde ich mich auf den Weg machen«, sagte er. »Vor mir liegen hohe Berge und gefährliche Pässe.«
Der Rabbi stand auf und schob die brennenden Scheite zusammen. Ein Funkenschwarm wirbelte in die Höhe.
»Du wirst sehen, dass es dort, wo Berge sind, auch Täler gibt. Es ist wie im Leben. Wenn du den Pass fürchtest, wandere durch die Täler und die Ebenen.«
»Das ist sicherlich der beste Rat, Rebbeleben, den ich ohne langes Nachdenken beherzigen kann.«
Elazar selbst hatte daran gedacht weiterzuziehen. Er wollte nach Süden; dorthin, wo er nicht fror und wo das Leben einfacher zu sein versprach. Ob er wirklich den weiten Weg nach Jerusalem einschlagen würde, stand für ihn noch lange nicht fest. Aber jede Meile seines Weges bedeutete eine andere, eine neue Einsicht: Zustimmung oder Ablehnung.
Andererseits erhob sich, mächtig wie das eisstarrende Gebirge, die andere unausweichliche Frage: Wohin, wenn nicht nach Yerushalayim, sollte er wandern? Zurück nach Überlingen? Undenkbar! Vielleicht fand er auf der langen Pilgerreise einen Ort, der ihm eine neue Heimat sein konnte.
Der Rabbi erkannte, dass Elazar trotz aller Gespräche und Ratschläge noch viel Zeit brauchte, um zu einem Entschluss zu kommen. Er füllte den Rest des Weins in die Becher und begann mit einer Erzählung, die nichts mit der Pilgerreise zu tun hatte.
21
Ein Kampf der Schwerter, Vorwürfe und Erkenntnisse
Eine halbe Stunde lang hatten Suleiman und Abdullah im hinteren Teil des Gartens mit fast faustgroßen Steinen auf eine Strohpuppe geworfen. Dann hatten sie Dutzende Pfeile mit kleinen sarazenischen Bogen auf diese Puppe geschossen. Kaum weniger lange hatten sie mit Dolchen und Messern aus Abu Lahabs Werkstätten nach verschiedenen Scheiben geworfen. Als sie sich, schwitzend und müde, gegenseitig die nackten Oberkörper mit kaltem Wasser gewaschen und mit Tüchern, die nach Minze und Narde rochen, abgetrocknet hatten, griff Suleiman nach dem gekrümmten Holzschwert.
»Eine letzte Übung noch, Meister des Kampfes und der Heimtücke.«
Suleiman sprang auf den großen Platten des Übungsplatzes, die aus rauen Sandsteinquadern bestanden, in die Kampfhaltung und hob das Schwert über den Kopf.
»Heimtücke?«, rief Abdullah und ließ den rechten Arm mit dem Übungsschwert kreisen. »Nennst du mich heimtückisch, Suleiman?«
Jahrelang hatten die beiden Männer nun schon, wenn möglich einmal in der Woche, gemeinsam geübt. Was Suleiman konnte, jeden Hieb und jede geschickte Wendung, bis hin zum richtigen Fingergriff an der Bogensehne, verdankte er Abdullahs Können und dessen Geduld. Manchmal war er sogar ein klein wenig besser als sein Meister.
»Ich werde es dir erklären, o Lehrer meines Könnens!« Suleiman griff vorsichtig an
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