Die geheimnisvollen Zimmer
Volkshymne zu singen. Der Pianist begann zu spielen, aber ganz merkwürdige Töne kamen aus dem Klavier. Denn Evensens Bier sickerte zwischen den Tasten, daß sie zusammenklebten und die Töne sich nicht getrennt voneinander spielen ließen. Inzwischen bildeten der Polizeidirektor, der Advokat, der Bürgermeister und der Vorsitzende einen brüllenden unisonen Chor.
Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen, und herein stürzte ein junger Großkaufmann und gebot Stille. Er war kreidebleich, in höchster Erregung und atemlos. Aller Blicke waren auf ihn gerichtet. Krag erkannte sofort, daß er eine ernste Nachricht brachte, und eine fürchterliche Ahnung machte ihn erzittern.
»Meine Herren«, rief der Fremde, als Ruhe eingetreten war, »unsere Stadt und unsere Gesellschaft hat einen schweren Verlust erlitten. Ich habe soeben ein Telephongespräch mit Kvamberg. Herr Aakerholm ist vor wenigen Minuten gestorben. Man fand seine Leiche im Park.«
Das tiefe Schweigen, das auf diese Mitteilung folgte, wurde unterbrochen durch ein zu Boden fallendes, zerschmetterndes Glas. Es war Bengts Glas gewesen. Krag sah ihn an. Totenbleich stand er an den Türpfosten gelehnt.
V
Der Tote.
Als Krag und Bengt nach einer fliegenden Schlittenfahrt auf Kvamberg ankamen, fanden sie das Haus hell erleuchtet wie zu einem Fest.
Die beiden Männer hatten während der rasenden Fahrt nicht viel Worte miteinander gewechselt. Aber eine Bemerkung hatte Bengt gemacht, die Krag sich ins Gedächtnis einprägte. Er hatte gesagt:
»Man fand die Leiche im Park? Das ist merkwürdig.«
Der Schlitten fuhr zur Freitreppe hinauf. Bleich und barhäuptig trat der Arzt aus der Tür. Er war so erregt, daß er kaum sprechen konnte. Aber Krag fragte auch nichts.
Ein Diener kam herbei, um den Herren beim Aussteigen zu helfen. In der Nähe standen ein paar Frauen, die Hände vor dem Gesicht, und schluchzten. Der dicke rote Koch trat herzu und wies sie fort.
»Wo ist die Leiche?« fragte Bengt, indem er sich den Weg durch die Reihe der versammelten Dienstboten bahnte.
»Im Wohnzimmer«, antwortete einer von ihnen.
Bengt ging voran. Unmittelbar hinter ihm folgten Krag und der Arzt. Krag fing eine Bemerkung von einem der Mädchen auf:
»Ach, der Patron hat sich ja selbst ...«
Erstaunt und fragend sah Krag seinen Freund an.
»Er hat sich erschossen«, flüsterte dieser, »mitten ins Herz geschossen.«
Der Detektiv beschleunigte seine Schritte und erreichte das Wohnzimmer von Bengt. Die Leiche lag auf einem Sofa, mit einem weißen Laken zugedeckt.
Bengt wollte herbeieilen und das Bettuch fortziehen, aber Krag hielt ihn zurück.
»Werden Sie es ertragen, die Leiche zu sehen?« fragte er ihn.
Bengt maß ihn mit einem verächtlichen Blick und antwortete:
»Finden Sie den Zeitpunkt für Scherze geeignet?«
»Scherz oder Ernst, es ist jedenfalls Sache des Arztes, in dieser Angelegenheit Bestimmungen zu treffen. Der Tote hat sich erschossen.«
»Sich erschossen?« rief Bengt aus. »Nicht möglich! Ich dachte, er sei vom Schlage getroffen worden.«
»Das dachte ich auch«, sagte Asbjörn Krag leise und enthüllte die Leiche.
Nun trat auch Doktor Rasch zu ihnen. Der Detektiv lüftete das Bettuch nur so weit, daß des Toten Antlitz bedeckt blieb.
Aakerholm trug seinen Alltagsanzug und einen Winterüberzieher. Er lag auf dem Rücken. In der linken Hand hielt er krampfhaft umschlossen die Pistole, mit der er noch vor wenigen Stunden so meisterhaft geschossen hatte. An der Kleidung des Toten sah man das Merkmal der tödlichen Kugel.
»Direkt ins Herz«, flüsterte der Arzt. »Er wußte, wo er zu schießen hatte, der alte Herr.«
Bengt stand, minutenlang stumm. Dann sagte er plötzlich, indem er sich über den Toten beugte:
»Armer alter Vater. Auf diese Weise solltest du also deine Ruhe suchen.«
Von der offenen Tür aus, die sich mit der Dienerschaft angefüllt hatte, vernahm man lautes Schluchzen.
In diesem Augenblick zog Asbjörn Krag das Tuch von dem Gesicht des Toten. Bengt fuhr zurück und preßte die Hände vor die Augen, als wolle er sich vor einem fürchterlichen Anblick schützen.
Aber das Antlitz des alten Aakerholm bot auch einen Anblick dar, der den stärksten Mann erzittern machen konnte.
Es war erstarrt in dem erschütterndsten Ausdruck des Schreckens; die Augen waren aus den Höhlen getreten, der Mund verzerrt.
Was hatte der Unglückliche unmittelbar vor seinem Tode gesehen?«
»Ziehen Sie das Tuch darüber«, bat Bengt, »das ist ja
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