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Die Gehorsame

Die Gehorsame

Titel: Die Gehorsame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Molly Weatherfield
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nicht mehr darüber erzählen wollte. Das Einzige, was sich in jenem Frühjahr in meinem Leben änderte, war, dass ich joggte, statt schwimmen zu gehen – nun, ich konnte mich nicht mehr gut vor den anderen im Umkleideraum umziehen, oder?
    Im März bekam ich ein Schreiben, in dem stand, dass einer meiner Artikel in einem obskuren akademischen Journal veröffentlicht werden würde – ich hatte ihn im vorigen Herbst dorthin geschickt. Der Professor, der mich dazu überredet hatte, bestand darauf, eine Flasche Champagner zu öffnen, die er für solche Anlässe – für erste Publikationen, wie er sagte — in einem kleinen Kühlschrank in seinem Büro aufbewahrte. Ich las den Brief immer und immer wieder, bis ich ihn auswendig konnte.
    Das war das einzige Mal, dass ich fünfzehn Minuten zu spät zu Jonathan kam. Und dazu noch berauscht vom Champagner – zum Glück war ich bei der Fahrt über die Brücke nicht ums Leben gekommen. Ich erinnere mich noch an Jonathans finsteren, besorgten Blick, als Mrs. Branden mich hereinbrachte. Er fragte mich, warum ich zu spät käme, und ich weiß noch, wie sich sein Gesicht veränderte – Gott, er hat so ein warmes, schönes Lächeln, dachte ich –, als ich ihm von der Publikation erzählte.
    »Das ist großartig, wirklich großartig, Carrie«, sagte er und nahm die Kette von meinem Halsband. »Und jetzt hol den Stock, damit ich dir fünf Schläge fürs Zuspätkommen geben kann.«
    So ging mein Leben weiter, seltsam und schizophren, aber mit einer gewissen Logik. Mit der Zukunft kam ich jedoch nicht zurecht. Ich meine, ich hatte kein Problem, dieses Doppelleben zu führen, als ich noch keinen College-Abschluss hatte, aber ich konnte mich nicht überwinden, mich bei einer Universität zu bewerben. Später, dachte ich immer. Es war so, als läse ich eine epische Geschichte, und alles andere müsste warten, bis ich mit der Lektüre fertig wäre.
    Die Einschreibungstermine vergingen, aber mir war es egal. Ich begann den Leuten zu erzählen, ich würde mir ein Jahr freinehmen, weil man das postmoderne Amerika nur dann wirklich verstehen könne, wenn man eine Zeit lang vor sich hin gammelte.
    Ab und zu fragte ich mich, ob ich nicht zu einem verrückten Sektenmitglied verkam, einem Manson-Mädchen, einem Moonie. Warf ich mein vielversprechendes Leben weg? Aber ich glaubte das nicht wirklich. Ich meine, ich hätte alles getan, was Jonathan von mir verlangte – na ja, ich tat es –, aber das war etwas anderes, als wenn man mir gesagt hätte, ich solle Blumen auf Flughäfen verkaufen. Und ich glaubte nicht, dass es mein ganzes Leben andauern würde. Es passierte mir einfach nur jetzt, in der Gegenwart. Na ja, auf jeden Fall bekam ich gleich nach der Graduierung meinen Job als Fahrradkurier. Jonathan hatte mich nie nach meinen Plänen gefragt. Ich nehme an, er war auf seine selbstgefällige Art davon überzeugt, dass ich eine Weile mitmachen würde. Das war zwar definitiv nicht schmeichelhaft, aber ich fand sowieso nichts von alldem schmeichelhaft. Ich wollte nur, dass es so weiterging und seinen mysteriösen Lauf nahm. Ich dachte an uns als Krazy Kat und Ignatz, an Wile E. Coyote und den Roadrunner, ein ewiges Paar, das die Motive und Variationen von Macht und Verlangen, Raffinesse und Schmerz endlos wiederholt. Eines Tages, dachte ich, würde ich hinunterblicken und feststellen, dass ich in der Luft hing, und dann würde ich auf die Erde plumpsen. Aber das war eines Tages, nicht jetzt. Ich war froh, dass er unserer Routine ein paar Stunden mehr in der Woche hinzufügte, als ich ihm sagte, dass sich mein Tagesplan geändert hatte.
    Im Juli, etwa einen Monat nach meiner Graduierung, sagte Jonathan zu mir, er müsse wegen eines Geschäftsprojekts für zwei Wochen nach Chicago.
    »Ich möchte, dass du mit mir kommst«, sagte er. »Es wäre schlecht, unseren Rhythmus zu unterbrechen, und außerdem will ich nicht so lange ohne das sein.«
    Gehorsam – ich kniete mit durchgedrücktem Rücken vor ihm – erwiderte ich, ich würde fragen, ob ich Urlaub bekäme. Eigentlich fand ich die Vorstellung schrecklich. Chicago im August. Wahrscheinlich würde er mir erlauben, ein paar Stunden am Tag durch das Art Institute zu laufen, während er arbeitete und das Zimmermädchen das Hotelzimmer säuberte. Danach würde ich wahrscheinlich auf meinen Knien Gott weiß wie lange warten müssen, bis er von der Arbeit kam, angespannt und gestresst, mit gelockerter Krawatte, verschwitztem Oxfordhemd und

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