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Die Gehorsame

Die Gehorsame

Titel: Die Gehorsame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Molly Weatherfield
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schwierig, nicht wahr, in dieser Umgebung so nackt zu sein?«
    »Ja, Jonathan, es ist schwierig«, erwiderte ich. Bastard.
    »Gut«, antwortete er schulmeisterlich. »Und jetzt möchte ich dich auf allen vieren sehen, hier in diesem Raum. Streng dich an. Ich stehe dort drüben an der Wand.«
    »Ja, Jonathan«, hauchte ich. Oh ja, Jonathan.
    Mir fiel nichts anderes ein, als einen Ohrring fallen zu lassen und mich auf die Knie niederzulassen, um ihn zu suchen. Das war zwar ziemlich zahm, aber auch nicht ganz einfach, da das Kleid so kurz war. Ich tat so, als wäre ich ganz ruhig und fummelte so lange am Verschluss meines Ohrrings herum, bis er nur noch in meinem Ohrläppchen stecken blieb, weil ich den Kopf ganz ruhig hielt. Dann drehte ich den Kopf langsam zu Jonathan, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und mich aufmerksam beobachtete. Nun, dachte ich, wenn er über meine Striemen Bescheid weiß, dann weiß ich, dass er einen Steifen bekommt. Sein lässiger italienischer Anzug saß schon nicht mehr ganz so locker, wie Giorgio es vorgesehen hatte. Ich hob den Kopf, um ihm in die Augen zu blicken, und mein Ohrring fiel zu Boden.
    Was hätte ich getan, fragte ich mich, wenn er über den Boden gekullert wäre? Aber zum Glück war er ganz langsam heruntergefallen, und ich behielt ihn fest im Auge. Ich hebe nur einen Ohrring auf, sagte ich mir im Stillen. Und ich tue mein Bestes, um mich in diesem Schrein der Kultur nicht gedemütigt zu fühlen. Zugleich hörte ich seinen Kommandoton, sein »Ich will« und mein »Ja, Jonathan« als Duett im inneren Radio, das immer eingeschaltet war, wenn wir uns zusammen in der Öffentlichkeit bewegten.
    Auf dem Boden posierte ich kurz, ganz Schwäche und Gehorsam, und blickte ihn an, den Mund leicht geöffnet. Okay?, fragte ich mich und merkte plötzlich, dass ich ihn anstarrte, als hätte ich ihn nie zuvor gesehen. Es ging doch nichts über eine kleine Situation unter Fremden, um das Vertraute ein wenig aufzupeppen. Vermutlich genoss er das auch. Einen Moment lang war ich wie benommen, aber dann wurde mein Kopf zum Glück wieder klar. Ich war jetzt lange genug auf dem Fußboden gewesen, dachte ich und ergriff den Ohrring.
    Langsam stand ich auf, wobei ich sorgfältig darauf achtete, dass das Kleid nicht zu hoch rutschte. Ich kam mir vor wie ein Taucher, der zur Oberfläche aufsteigt. Plötzlich hörte ich wieder die Leute um mich herum reden. Und mir war auch bewusst, dass mich einige Augenpaare musterten. Wie verdächtig mochte ich ausgesehen haben? Das würde ich nie erfahren. Ich versuchte, die Blicke auszublenden, denn ich wusste, dass in den Augen die Fragen geschrieben standen, die ich schon vorher bei den seltenen Gelegenheiten gesehen hatte, wenn Jonathan und ich uns in der »realen« Welt aufgehalten hatten. Wir benahmen uns zwar nicht auffällig, aber die Leute schenkten uns doch Aufmerksamkeit. Zuerst hatte ich naiverweise angenommen, es läge an unserer kostspieligen Kleidung. Aber das war es natürlich nicht. Zwischen uns herrschte eine Art Spannung, und manche Leute sahen das einfach. Irgendjemand bemerkte es immer, irgendeiner zog immer die Augenbrauen hoch. Es verstörte mich zutiefst, wenn unsere private virtuelle Realität und die reale Welt aufeinanderprallten, und er beherrschte es meisterhaft, mein Unbehagen auszubeuten.
    Deshalb überraschte es mich auch nicht, als ein schwul aussehender, ganz in Schwarz gekleideter Mann mir mit seinem Champagnerglas zuprostete. Errötend wandte ich den Kopf ab und begegnete dem Blick eines kleinen Mädchens. Die Kleine war vielleicht elf, ihr blasses Gesicht war von zerzausten Locken umgeben, und sie trug ein dunkelgrünes Samtkleid mit weißem Spitzenkragen. Ihr Blick war ruhig und stetig, und ich glaube nicht, dass sie verstand, was vor sich ging. Aber ich wusste, dass sie wusste . Ach, zum Teufel, dachte ich, und erwiderte ihren Blick. Hab keine Angst, so ist es eben, versuchte ich ihr zu übermitteln. Das Leben ist wirklich überraschend. Sie schien es aufzunehmen. Zwar verstand sie es nicht, aber wie kluge Kinder es oft tun, verstaute sie es im Hinterkopf, um es wieder hervorzuholen, wenn sie dazu bereit war. Sie ist clever, dachte ich, viel cleverer als ich – ich steckte den Ohrring wieder an und verschloss ihn fest.
    Schließlich trat Jonathan zu mir herüber. Fröhlich küsste er mich auf den Scheitel. »Nicht schlecht«, sagte er. »Einen Moment lang warst du ein bisschen derb, aber darum kümmern wir uns

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