Die Geier
wie ein Donnerhall, und der Kerl
ging heulend zu Boden. Milan stürzte sich auf ihn und
setzte ihm die Klinge seines Skalpells wenige Millimeter
neben das Auge.
»Hör mir gut zu, du Dreckskerl!« brüllte der Geier.
»Entweder du sagst mir jetzt auf der Stelle, wo du die
Kleine versteckt hältst, oder ich schneide dir den
Schwanz ab.«
Der Araber litt entsetzlich, sein Kopf schwankte auf
seinen Schultern hin und her, gefolgt von der glitzern-
den Klinge des Geiers.
»Oben!« stöhnte er. »Auf dem Speicher . . . «
Stefan lachte laut und kindisch auf, als Milan dem
Zuhälter die Kehle durchschnitt. Einer der Kunden
drehte durch und versuchte zu fliehen, aber unter dem
Kolbenschlag von Vitos Waffe sackte er auf der Stelle zu
Boden.
»Halt alle diese Schweine in Schach!« befahl Milan
und eilte die Treppe hoch. »Ich kümmere mich um die
Fracht. Stefan, du kommst mit mir.«
Das grelle Lachen des dicken Mongoloiden dröhnte
durch die Halle. Er fühlte sich gut. Stark. Sehr stark.
Unendlich viel stärker als immer dann, wenn, wie heute
wieder, Trois-Pommes, Pissette, Ranky und die anderen
kamen und durch das Gitter des Abstellraumes mit
Hundekot nach ihm warfen. Dabei hatte Milan ihm ver-
sprochen, daß das nie wieder passieren werde; aber sie
waren erneut gekommen. Vito war nicht da, um ihn zu
beschützen. Wie gewohnt war Stefan auf das Klo ge-
flüchtet, aber dort konnte er nicht bleiben. Wegen Mas
Kopf, der abgetrennt aus dem Pißbecken ragte.
Er fragte sich, wie er Vito das alles erklären sollte, als Mirko anrief. Im Moment dachte er nicht einmal mehr
daran. Er fühlte sich gut. Und wenn er heimkäme,
würde Ma vom Unterernährten zurückgekehrt sein und
würde ihm eine gute Suppe mit dicken Fleischstücken
zubereiten ...
»Wart auf mich, Mirko, wart auf mich!« schrie er, au-
ßer Atem und folgte seinem Bruder.
Der Piepston und das rote Lämpchen des Autotelefons
ließen Toland zusammenzucken, der in düsteren Ge-
danken versunken war. Er hob ab und nannte seinen
Namen.
»Ein Anruf für dich, Toland«, teilte Goldman ihm mit.
»Übernimmst du?«
»Ja ...«
Nach mehrmaligem Klicken ertönte die Stimme von
Loic Gaborit im Hörer.
»David, ich bin's, Loic. Bist du allein?«
»Ja, aber ...«
»Hör mir gut zu, David! Die Z.S.A. schert sich einen
Dreck um das Rückenmark von Giova Llorens. Was sie
benötigen, ist ihr Herz. Sie werden sie töten, begreifst
du das?«
Tolands Hände begannen zu zittern.
»Was sagst du da?« stotterte er.
Der Hörer glitt ihm aus der Hand. Einen Moment
lang starrte er wie von Sinnen durch die Windschutz-
scheibe nach draußen; dann stürzte er aus dem Stude-
baker und rannte auf das Gebäude zu, in das die Ge-
brüder Milan eingedrungen waren.
Im Wageninnern schaukelte der Hörer am Ende des
Kabels hin und her, nur noch das verzweifelte »Hallo!«
von Loic Gaborit war zu hören.
Dreiunddreißigstes Kapitel
Der Chirurg legte den Hörer wieder auf und wußte, daß
er unwahrscheinlich feige gehandelt hatte. Da er nicht
imstande war, selbst eine Entscheidung zu treffen, hatte
er seinen Freund David Toland vor den hinterhältigen
Tricks der Z.S.A. gewarnt und somit alle Verantwor-
tung auf ihn abgewälzt. Er sank auf seinen Schreibtisch
und vergrub das Gesicht in den gekreuzten Armen. Er
fühlte sich nicht stark genug, um die einmalige Gele-
genheit abzulehnen, die Mark Zorski ihm bot. Die Gele-
genheit, zu dem zu werden, was er sich immer schon er-
träumt hatte: einer der berühmtesten Chirurgen auf der
ganzen Welt ... Die Gelegenheit, seine Arbeit, seine
nächtelangen Bemühungen endlich von Erfolg gekrönt
zu sehen. Einerseits der Ruhm, andererseits die An-
onymität oder die Unehre.
Die Ungleichheit der Menschen vor der Medizin, vor
der Gesundheit hatte ihm schon oft zu denken gegeben.
Und bislang hatte er sich stets untadelig verhalten und
die Vorschläge von unendlich vornehmeren Kliniken als
dem Saint-Louis stets abgelehnt. Das Dilemma war nun
an seinem kritischen Punkt angelangt. Und seine Ent-
scheidung lag ab sofort in den Händen eines ande-
ren ...
Der dritte Gorilla stand auf der Treppe und hielt eine
Pumpaction in den Händen. Er hatte die Schreie und
Schüsse gehört und zwischen der ersten und zweiten
Etage Stellung bezogen. Ein unheimlich magerer Kerl
mit heroinzerfressener dreckiger Haut. Ein echt finste-
rer Geselle. Die Waffe zitterte ihm in den spindeldür-
ren Fingern, und der
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