Die Geier
je-
mals zu beklagen, ohne ein Wort zu sagen ... Nicht
einmal einen Stärkungstrunk benötigst du, um deine
Arbeit tun zu können. Es sieht aus, als würdest du nicht
das geringste dabei empfinden. Wer von uns beiden ist
denn nun der Hemmungsloseste, Toland? Du oder
ich?«
Angesichts des hartnäckigen Schweigens von David
fügte Milan hinzu:
»Ich kann zu meiner Entschuldigung wenigstens an-
führen, daß ich es für Geld tue.«
Der Piepston des Autotelefons war zu hören. Milan
hob ab.
»Ja ...«, brummte der Geier.
»Milan? Ich bin's, Odds. Wir haben das Programm
geändert. Wo seid ihr?«
»Vor dem Käfig, in dem Ihr kleines Flittchen schläft,
Boß!« witzelte Milan.
»Was?«
»Die kleine Llorens. Eine Gangsterbande hat sie sich
geschnappt«, erklärte der Geier. »Wird nicht so einfach
sein, sie da wieder rauszuholen. Ich hab meine Brüder
zu Hilfe gerufen. Und Sie melden sich dann wieder, zur
psychologischen Unterstützung.«
Auf Milans Erklärung folgte ein kurzes Schweigen.
»Haben Sie sie gesehen?« fragte Odds.
»Woher denn? Wir wissen nicht einmal, ob sie wirk-
lich da drin ist ...«
»Beeilen Sie sich, Milan!« flehte Odds. »Eben hab ich
Nachricht erhalten aus der Concorde mit ... na, Sie wis-
sen schon. Sieht sehr schlecht aus. Die Transplantation
muß sofort nach der Landung durchgeführt werden.
Spätestens in drei Stunden ... Sie wissen, was das be-
deutet?«
Milan griff erneut nach der Whiskyflasche.
»Nein«, knurrte er verwirrt.
»Das bedeutet, daß es sich nicht einmal mehr lohnt,
das Mädchen ins Saint-Louis zu bringen, Milan«, er-
klärte Steve Odds. »Nehmen Sie sich das Benötigte an
Ort und Stelle!«
Ohne zu antworten, legte Milan wieder auf. Toland
beobachtete ihn aufmerksam.
»Was ist los?«
Milan zögerte. Wilde Entschlossenheit verhärtete
seine Gesichtszüge.
»Die Frau ist im Anflug«, murmelte er reglos. »Wenn
wir uns dieses Mädchen jetzt nicht schnappen, ist's zu
spät ...«
Vor ihnen, am anderen Ende der Straße, tauchte Vito
Milan auf, der den riesigen Stefan wie eine furchterre-
gende Dogge an der Leine hinter sich her zog. Ein Lä-
cheln erhellte das Gesicht des Geiers.
»Gehen wir!« befahl er und öffnete die Tür des Stu-
debakers.
Doktor Sevrin war einer der besten Anästhesisten, die
man finden konnte. Mit einem ellenlangen Text betrat
er das Büro von Loic Gaborit.
»Das hat uns gerade noch gefehlt!« seufzte er.
Gaborit, der in das Studium der neuesten Berichte
über die Herztransplantationen in seiner Klinik vertieft
war, hob den Kopf.
»Was ist denn?« fragte er und betrachtete den langen
Papierstreifen, den der Anästhesist bis auf den Boden
hängen ließ.
»Der Beginn der Schwierigkeiten«, erwiderte Sevrin
und legte das Telex auf das Pult. »Das Herz deiner hüb-
schen Patientin ist dabei durchzudrehen. Es fehlte nicht
viel, und man hätte uns gebeten, die Operation direkt
am Flughafen von Roissy vorzunehmen. Hier einstwei-
len die neuesten Analysen. Ich habe sie für das Labor
kopiert. Zorski möchte, daß wir aufgrund der Analysen
Spezialvorkehrungen treffen. Die Yankees scheuen
wirklich weder Mühe noch Kosten.«
»Spezialvorkehrungen?« fragte Gaborit überrascht
und runzelte die Stirn.
»Lies das, dann begreifst du. Pamela Sirchos ist ein
schwieriger Fall.«
Gaborit schaute sich das Telex an, auf dem sämtliche
Analysen aufgeführt waren, die man bei seiner zukünf-
tigen Patientin vorgenommen hatte. Unverzüglich ver-
banden sich diese Angaben mit der Liste der Z.S. A. Der
Chirurg spürte, wie er kreidebleich im Gesicht wurde.
»He!« meinte Sevrin besorgt. »Was hast du denn?«
Gaborit verglich die Angaben beider Listen ein zwei-
tes Mal miteinander. Es bestand kein Zweifel mehr.
Pamela Sirchos und Giova Llorens waren genetische
Doppelgängerinnen.
»Wer ist der Spender?« flüsterte er mit schwacher
Stimme.
Sevrin zuckte mit den Schultern.
»Die Papiere sind noch nicht eingetroffen. Das Im-
plantat kommt aus einer Klinik außerhalb der Stadt.
Mehr hat man mir nicht gesagt.«
Gaborit schüttelte den Kopf. Das durfte doch nicht
wahr sein! Sein Freund David Toland konnte sich doch
unmöglich an einem solchen Willkürakt beteiligen ...
Diese Ungewißheit richtete sich sogleich gegen ihn
selbst. Welche Entscheidung müßte er treffen, falls die
gleichzeitig mit dem Spenderherz eintreffenden Analy-
seresultate die Hypothese eines Mordes
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