Die Geisel
dröhnte, als sich das Mikrofon aus seiner Halterung löste und Elias Romero damit vor der Menge stehen ließ wie einen Schlagersänger. Geschlagene zwei Minuten brauchte er, um das verdammte Ding wieder am Ständer zu befestigen. Sogar nach all der Mühe musste er sich vorbeugen, um seinen Mund auch nur in die Nähe des Mikros zu bringen. Am liebsten hätte er geflucht und dem Mikrofonständer einen Tritt versetzt, doch er riss sich zusammen.
Er war auf sich allein gestellt. Asuega und die Leute von der Randall Corporation machten einen Rundgang durch die Zellenblöcke. Der Gouverneur und sein Gefolge wollten auf keinen Fall mit etwas in Verbindung gebracht werden, das sie in schlechtem Licht erscheinen lassen könnte, also war außer Travor niemand von ihnen auffindbar. Er hatte eine Ein-Mann-Pressekonferenz vor sich.
Er sah auf und blickte in ein Meer aus erbarmungslos starrenden elektronischen Augen und erwartungsvollen Gesichtern. Alle waren da. CBS, NBC, ABC, CNN, MSNBC. Alles, was Rang und Namen hatte.
Er wandte sich ab, um sich zu räuspern, dann fing er an.
»Meine Damen und Herren«, sagte er.
Die Kameras begannen zu surren. »Ich werde jetzt eine kurze Stellungnahme verlesen und danach einige Fragen beantworten. Sie haben bestimmt alle Verständnis dafür, dass wir noch immer damit beschäftigt sind, die Anlage zu sichern, und uns daher hier so kurz wie möglich fassen müssen.« Zynische Bemerkungen flogen hin und her. Elias Romero ignorierte sie und fuhr fort: »Heute Morgen ist in der Vollzugsanstalt wieder alles unter Kontrolle. Alle Insassen sind wieder in ihren Zellen, und die Abläufe im Gefängnis haben sich normalisiert.« Er zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich damit den Nacken ab. »Nach einer vorläufigen Zählung …« Er machte eine effektvolle Pause. »Nach einer vorläufigen Schätzung wurden bei dem Zwischenfall siebenundfünfzig Menschen getötet.« Das Gemurmel wurde lauter. »Fünfzig Insassen und sieben Angehörige des Personals, von denen einer anscheinend eines natürlichen Todes gestorben ist.« Das Gemurmel war zu einem Lärmen geworden. Romero hob eine Hand, um die Menge zum Schweigen zu bringen. »Ich möchte unterstreichen, dass diese Angaben ohne Gewähr sind und dass die endgültigen Zahlen nicht vor dem späten Nachmittag vorliegen werden.«
Als er fertig war, hatte das Stimmengewirr die Lautstärke eines Flugzeugs im Landeanflug erreicht. Die erste Frage kam von einem CNN-Reporter. »Können Sie bestätigen, Mr. Romero, dass der Filmausschnitt, der letzte Nacht auf ABC in American Manhunt ausgestrahlt wurde, echt war?«
Er war fest entschlossen, nicht rundweg zu lügen, und hielt es für das Beste, die Antwort kurz und freundlich zu halten. »Ja«, war alles, was er sagte, bevor er eine weitere Frage zuließ.
»Der Häftling in dem Filmausschnitt«, begann die Frage. »Ist der Aufenthaltsort dieses Häftlings zum gegenwärtigen Zeitpunkt bekannt?«
Romero holte tief Luft. »Nein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.«
Das Stimmengewirr erreichte Airliner-Niveau-Lautstärke. »Wie viele andere Insassen werden noch vermisst?«
»Wir haben einige Leichen, die … äh … auf Grund der Schwere der Verletzungen noch von der Gerichtsmedizin identifiziert werden müssen.«
»Aber Sie gehen nicht davon aus, dass dieser …«, der AP-Reporter warf einen Blick auf seine Notizen, »dieser Timothy Driver darunter ist?«
»Nein. Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, wir werden es wissen, wenn die forensischen Untersuchungen abgeschlossen sind.«
»Ist Driver der einzige Gefängnisinsasse, von dem angenommen wird, dass er verschwunden ist?«
»Ich habe nicht gesagt, dass wir annehmen, dass er verschwunden ist. Wie gesagt«, Romeros Verzweiflung wurde langsam sichtbar. »Heute Morgen …« Er zögerte, wartete, bis der Lärm sich etwas legte, und hielt dann beruhigend eine Hand hoch. »Ich möchte noch einmal betonen …« Er hob die Stimme. »Ich muss noch einmal betonen … Solange die Gerichtsmediziner ihre Untersuchungen noch nicht abgeschlossen haben, können wir keine exakten Zahlen bekannt geben.«
»Können Sie schon sagen, wie es dieser Timothy Driver geschafft hat, aus seiner Zelle zu entkommen und das Gefängnis im wahrsten Sinn des Wortes zu übernehmen?«
»Nein, das können wir nicht«, antwortete Romero.
»Unsere Quellen behaupten, Mr. Driver hätte rund um die Uhr unter Videoüberwachung gestanden. Sie müssten doch …«
Romero
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