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Die Geisel

Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G. M. Ford
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lassen.«
    Marty machte das ›Schnitt‹-Zeichen, fuhr sich mit der Handkante über die Kehle. Alles entspannte sich.
    »Schlimm genug, dass wir es gestern Abend gezeigt haben«, maulte Melanie. »Ich verstehe nicht, warum wir das heute noch mal ausstrahlen müssen.«
    »Wenn man's hat, soll man's auch zeigen«, erwiderte Marty, ohne den Blick vom Monitor zu nehmen. Er hob die Hand und begann mit den Fingern rückwärts zu zählen. »Fünf, vier, drei, zwei, eins.« Er ließ die Hand wie eine Guillotine fallen.
    »Mit diesem grauenhaften Verbrechen nahm eine sechsunddreißigstündige Orgie aus Chaos und Gewalt in der Meza-Azul-Vollzugsanstalt ihren Anfang«, verkündete Melanie mit ihrer Weltuntergangsstimme. »Gestern am späten Nachmittag berichteten offizielle Vertreter des Gefängnisses, dass noch drei Personen vermisst werden. Zwei Häftlinge und ein Zivilist.« Melanie las die Namen und eine Kurzbiografie vor.
    Martys Bildschirm war voller Fotos von Driver, Corso und Kehoe.
    »Seit heute Nachmittag haben das FBI und die State Police in sieben Staaten eine Großfahndung nach den drei Flüchtigen ausgerufen.« Wieder verfiel sie in ihren Unheilstonfall, als sie die Standardformulierungen vorlas, mit denen die Öffentlichkeit vor der Bewaffnung und Gefährlichkeit der gesuchten Männer gewarnt wurde. »Bleiben Sie dran, bei American Manhunt, es folgen wichtige Informationen über Timothy H. Driver, den Mann, der den tödlichsten Gefängnisaufstand in der Geschichte der Vereinigten Staaten angezettelt hat und dem es dann gelungen ist, ungesehen aus einer Einrichtung zu entkommen, die stets als das sicherste Hochsicherheitsgefängnis des Landes gepriesen wurde.«
    Schnitt zur Werbung.
    Melanie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Die Visagisten sprangen vor, tupften hier und klopften da.
    »Machst du jetzt mit dem Film weiter?«, wollte Marty wissen.
    Melanie nickte.
    »Da werden wir was zu hören bekommen.«
    »Ich weiß«, sagte sie.
    »Die vom Sender werden stinksauer sein.«
    »Ich weiß.«
    »Auf die Plätze«, tönte Marty.
    Wieder zählte er rückwärts von fünf bis null.
    »Willkommen zurück bei American Manhunt, meine Damen und Herren. Für die Sondersendung des heutigen Abends ist es uns gelungen, exklusives und bis jetzt auch streng vertrauliches Material über den Menschen zu bekommen, der hinter dem Aufstand und der folgenden Flucht stand. Erste Berichte der Verantwortlichen des Gefängnisses sprechen davon, dass Mr. Driver während der Vorbereitungen für eine routinemäßige medizinische Untersuchung aus seiner Zelle entkam. American Manhunt ist es gelungen, Einblick in Dokumente zu bekommen, die zweifeilfrei belegen, dass Mr. Driver aus seiner Zelle geholt wurde, weil er in den vorangegangenen fünfeinhalb Wochen verwirrtes und dissoziatives Verhalten an den Tag gelegt hatte.«
    Melanie gestattete sich eine bedeutungsschwangere Pause, dann fuhr sie fort: »Was jetzt folgt, auch wenn es nicht so drastisch ist wie der vorangegangene Beitrag, ist dennoch von dermaßen beunruhigender Qualität, dass wir allen Eltern dringend empfehlen, ihre Kinder davor zu schützen.«
    Marty starrte auf den Monitor, als das Innere des Gefängnisses gezeigt wurde. Split Screen. Eine Aufnahme, die von Drivers oberer Zellendecke aus gefilmt war, die andere von außen durch die Gitterstäbe hindurch. Driver tigerte in seiner Zelle auf und ab wie ein eingesperrtes Raubtier. Seine Sandalen und den orangefarbenen Overall sah man sauber zusammengelegt auf dem schmalen Bett liegen. Er trug nur die braune Gefängnisunterwäsche. Sein Körper war bleich, jedoch in einem Maß durchtrainiert, wie es nur jemand schaffen kann, der eine Menge Zeit zur Verfügung hat. Seine Stimme klang, als predige er in einem weitläufigen Raum zu hunderten von Menschen.
    »Jeder trägt dazu bei«, brüllte er. »So oder so. Man muss sich nicht einverstanden erklären. Es muss nicht okay für einen sein. Von den Bären bis hin zu den allerkleinsten Insekten. Ein Teil für jeden und jeder für seinen Teil. Die Natur kann man nicht unterlaufen. Der Plan kann in keiner Weise verändert werden. Er ist molekular. Außerhalb des menschlichen Einflussbereichs, denn er ist perfekt, und der Mensch ist es nicht. Kilometerweise Beton, und die Unkräuter werden doch den schmalsten Ritz finden. Ganz egal …«
    Marty sah noch weitere vierzig Sekunden lang zu, wie Driver auf dem Bildschirm lamentierte und wütete. Mit den Fingern zählte er von fünf rückwärts

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