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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Ricarda Jordan
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gefolgt. Das Mädchen erschrak zu Tode, als der Priester ihm deshalb einen wütenden Blick zuwarf. Amra zog sich sofort zurück, aber das verschlimmerte die Sache eher. Der Hengst tänzelte, zog unartig am Zügel und stieg – ausgerechnet vor den am Boden liegenden Speeren. Die Obodriten schrien auf, als die schweren Hufe des Rappen die Waffen trafen und das Holz unter sich zersplittern ließen. Das Pferd erschrak und gebärdete sich daraufhin noch wilder.
    Der Hohepriester wies einen Novizen an, dem Priester mit dem Pferd zu Hilfe zu kommen. Er brauchte sichtlich Zeit, sich zu fassen, während die beiden das Tier schließlich beruhigten und wegführten.
    Amra wartete zitternd auf Muris’ Spruch. Würde man sie zur Rechenschaft ziehen? Aber Muris hatte das Mädchen und die Stute gar nicht bemerkt. Er wandte sich jetzt mit klarer Stimme an die aufgeregten Obodriten.
    »Es wird«, sagte er, »einen Friedensschluss geben. Die Waffen zwischen Euch und Euren Gegnern werden schweigen. Aber der Gott sagt auch Blut und Tod voraus. Bevor eine neue Zeit anbricht, muss Altes zerstört werden, so war es, und so wird es immer sein.«
    Der Priester senkte demütig den Kopf vor dem Gott und wandte sich dann ab, obwohl die Obodriten ihn mit Fragen bestürmten. Sehr viel hatte er ihnen schließlich nicht verraten. Ob das die Reise gelohnt hatte?
    Vor dem Tempel wurde es langsam ruhiger, und Amra vertrieb sich die weitere Wartezeit auf Herrn Baruch, indem sie im Sand vor dem Palas einen Strich zog und versuchte, Susa mal mit dem rechten, mal mit dem linken Huf zuerst darüberzulotsen. Es gestaltete sich überraschend einfach. Wenn sie ein bisschen übte, würde niemand sehen, dass sie auf die kleine Stute Einfluss nahm.
    »Ja, Amra, genau so geht es.« Versunken in ihrer Aufgabe hatte sie gar nicht gemerkt, dass Baruch aus dem Haus gekommen war. »Aber ich würde das nicht gerade in Sichtweite der Priester üben. Bist du von Sinnen, Mädchen? Wenn einer bemerkt, dass du …«
    Baruch nahm ihr unwirsch die Zügel aus der Hand und verwischte den Strich im Sand rasch mit seinem Lederstiefel. Dann entfernte er sich zielstrebig mit Susa am Zügel in Richtung eines der Wachtürme. Amra musste fast rennen, um ihm zu folgen.
    »Aber … aber wenn ich das schon sehe … und Ihr … wieso sehen das dann die anderen nicht? Diese Männer, das sind doch … das sind doch Ritter! Die verstehen viel mehr von Pferden, und …«
    Baruch zuckte die Schultern. Dann raffte er sich doch zu einer richtigen Antwort auf.
    »Kind, der Mensch sieht, was er sehen will. Und er glaubt, was er glauben will. Diese Männer sind von weit her gekommen, um das Orakel ihres Gottes zu befragen. Sie werden es nicht anzweifeln. Erst recht nicht, wenn es ihnen genau das sagt, was sie hören wollen. Worauf die ganze Sache ja wohl abzielt. Wenn jemand ausreichend spendet, sagt ihm das Orakel auch einen Sieg voraus. Mit ein wenig Glück vertraut er darauf und fühlt seine Waffen gesegnet. Sein Gegner hört vielleicht davon und erkennt in seiner Angst den Gott zwischen den Reitern des Feindes. Dann behält das Orakel Recht und alle sind zufrieden.« Der Kaufmann seufzte.
    »Aber Ihr scheint nicht zufrieden«, bemerkte Amra. »Seid Ihr zu keiner Einigung mit dem König gekommen?«
    Baruch schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er unglücklich. »Das Schicksal der Gefangenen ist besiegelt. Die Priester fordern ein Menschenopfer für Svantevit – er hat lange keines mehr erhalten. Templer, christliche Kriegermönche … Was könnte es Besseres geben, um der Welt die Überlegenheit Svantevits gegenüber den Göttern der Christen zu zeigen? Und der König … Gewöhnlich ist er ja einer guten Lösegeldforderung nicht abgeneigt. In diesem Fall platzt er fast vor Wut – zwanzig Gefallene beim Angriff auf diese Galeere, und zwei davon aus seiner eigenen Familie. König Tetzlav will Blut sehen. Er wird den Priestern nichts entgegenstellen.« Baruch rieb sich die Stirn. »Und ich darf es den Gefangenen jetzt mitteilen. Vielleicht wollen sie ja letzte Grüße an ihre Angehörigen richten, die ich dann gegen ein kleines Entgeld befördern könnte. Ein Einfall des Königs übrigens. Was Einnahmen angeht, ist er ja äußerst ideenreich.«
    Baruch blieb vor einem der Wachtürme, in dessen Untergeschoss sich die Verliese der Burg befanden, stehen. Diesmal band er Susa an. Amra warf er einen prüfenden Blick zu.
    »Du wartest hier – möglichst, ohne Dummheiten zu machen. Oder … ach,
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