Die Geisel von Zir
Sie bitte die Augen mit den Händen und neigen die Stirn zur Erde. Wir werden nämlich gleich zu einem der Herren des Lichts beten, dass er in diesem Räume erscheinen möge, und es ist gut möglich, dass einer von ihnen dieser unserer Bitte eines Tages folgt. Und wenn dann Ihre Augen nicht bedeckt sind, könnte es passieren, dass Sie durch seine Erscheinung so geblendet werden, dass Sie nicht mehr sehen können.«
Kosambi schaltete jetzt wieder auf Gozashtando um. Als er eine Passage mit einem lauten »Shar pu’an!« schloss, senkte Reith den Kopf und hielt sich die Augen zu.
Kosambis Gebet dauerte etwa eine halbe Minute. Dann sagte der Inder: »Und nun, meine Freunde, dürft ihr die Augen wieder öffnen.«
Reith ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Seine Touristen veränderten gerade mit viel Gescharre und Geächze ihre unbequeme Stellung von einer sitzenden in eine kniende. Zuerst fiel Reith nichts auf. Doch dann beschlich ihn mit einem Mal das unbehagliche Gefühl, dass irgendwer oder irgendwas fehlte. Er zählte schnell seine Leute ab und stellte fest, dass Silvester Pride sich aus dem Staub gemacht hatte.
Inzwischen hatte Kosambi hinter seinem Pult zu einer neuen Predigt ausgeholt. Reith wurde immer nervöser. So ungern er den freundlichen Prediger unterbrechen wollte - aber die Zeit drängte, und er wollte seinen Touristen unbedingt noch ein paar andere Sehenswürdigkeiten zeigen, bevor sie wieder zu Gorbovasts Haus zurückkehrten. Außerdem befürchtete er, dass der unsägliche Pride mittlerweile irgendwelchen Unfug anstellte.
Ein rasch anschwellender Tumult von draußen ließ ihn aufhorchen. Dann kamen hastige Schritte die Treppe heruntergepoltert. Im selben Moment kam Pride auf Socken in den Raum geplatzt, die smaragdene Dashmok-Statuette im Arm, dicht gefolgt von den zwei Tempelwächtern, die wild brüllend ihre Speere schwenkten. Dahinter erschienen noch mehrere weißberobte Priester. Das Geschrei wurde so laut, dass Reith kein Wort verstehen konnte.
»Rette mich!« blökte Pride, blankes Entsetzen im Gesicht, und kauerte sich hinter Reith, um den drohenden Speeren zu entgehen.
Reith war einen Moment unschlüssig. Sollte er sein Schwert zücken? Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Als der vordere der beiden Tempelwächter seinen Speer zum Stoß hob, stellte Reith sich vor ihn, breitete die Arme aus und brüllte eines der wenigen Gozashtando-Wörter, an die er sich erinnern konnte: »Astoi! Halt!«
Die Wächter hielten inne. Kosambi und sein Assistent hatten sich unterdessen in eine wilde Katzbalgerei mit den Weissberobten verknäuelt. Reiths Touristen trugen mit ihrem aufgeregten Geschnatter noch das Ihre zu dem Tumult bei.
»Irim! Ruhe!« brüllte Reith. Als der Lärm sich ein wenig beruhigt hatte, sagte er: »Vater Khorsh, Ihr müsst übersetzen. Fragt einen der Dashmok-Leute, was geschehen ist.«
Khorsh sprach mit dem ältesten der Priester und sagte dann: »Mein Sohn, er sagt, nachdem ihr den Tempel wieder verlassen hättet, sei dein Senhor Pride plötzlich noch einmal zurückgekommen. Er habe ehrerbietig seine Schuhe ausgezogen und dann die Tempelhalle betreten. Da die Wächter sich von dem vorausgegangenen Besuch her noch an ihn erinnern konnten, hätten sie keinen Argwohn geschöpft. Plötzlich habe jedoch die Alarmglocke geschrillt, mit der die Statuette des Dashmok gesichert ist. Und im selben Moment kommt der Senhor Pride zur Tür herausgerannt und flieht, die Statue in der Hand. Natürlich haben sie den Gotteslästerer sofort verfolgt.«
»Was hast du dazu zu sagen, Silvester?« fragte Reith mit wutzitternder Stimme.
»Ich wollte das verdammte Ding doch nicht stehlen!« zeterte der Tropf. »Ich wollte es mir bloß mal genauer angucken! Auf der Erde wäre es eine halbe Million wert. Außerdem hatte ich die Nase voll von dieser langweiligen Predigt. Also ging ich noch mal zum Tempel zurück und nahm es von dem Sockel, um es besser sehen zu können. Ich ahnte ja nicht, dass das Ding mit einer Alarmglocke verbunden ist. Aus dem Sockel ragt ein kleiner Knopf, der von der Statue nach unten gedrückt wird. Sobald man das Ding hochhebt, springt der Knopf raus, und ein Höllenlärm geht los. Jedenfalls fing das Ding plötzlich an zu schrillen wie ein Wecker, und sofort kamen diese Priester aus ihren Löchern gequollen. Ich verstehe ihre Sprache zwar nicht, aber es hörte sich ganz so an, als wollten sie mich in heißem Öl sieden. Ich also nichts wie raus. Vor lauter Schreck
Weitere Kostenlose Bücher