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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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sie ja mehr Glück als wir.«
    »Katrine, wir spielen weiter!«, rief Hassan auf dem Feld.
    Katrine stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose.
    »Und das war’s dann?«
    Katrine nickte. »Zeit, die Toten zu begraben, Maja.«
    Diesen Satz hatte sie heute schon einmal gehört. Doch auch jetzt frustrierte er sie nicht weniger als beim ersten Mal, als Skouboe ihn ausgesprochen hatte.
     

44
    Die Sonne war auf dem Rückzug. Auf dem Marktplatz saßen die Leute in den Cafés und Restaurants und aßen zu Abend. Der Brunnen fungierte als Planschbecken für die Kleinsten. Ein munteres Summen lag über dem Platz, wie dies nur bei Sommerabenden in der Stadt der Fall war. Maja hielt an der dem Markt gegenüberliegenden Ampel. Auf dem Beifahrersitz lagen die Kopien von Pans Zeichnungen und starrten sie an. Für einen Augenblick fühlte sie sich in das bedrückende Dunkel des Gefängnishofs zurückversetzt, über dessen Stacheldraht hinweg man die Geräusche des Tivoli gehört hatte. Sie hatten sich wie die Laute einer Freakshow angehört. Die Zeichnungen schienen einem Fiebertraum entsprungen zu sein. Wenn sie an Sørens bohrenden Blick und sein Zähneknirschen dachte, dann sah sie ihn in jedem einzelnen Strich. Die Zeichnungen beschrieben etwas, das unendlich weit von der Vorstadtidylle hinter ihrer Windschutzscheibe entfernt war. Vielleicht lebte Timmie nur noch in Sørens Welt, einer Welt, die er mit sich in den Tod genommen hatte. Im Radio lief »It’s a Beautiful World« von Coldplay. Was für eine Ironie. Hinter ihr hupte jemand. Sie blickte auf und sah, dass die Ampel auf Grün gesprungen war.
    Sie fuhr weiter zur Tankstelle an der Abfahrt zur Autobahn. Nachdem sie getankt und sich eine Flasche Mineralwasser gekauft hatte, rollte sie auf den Parkplatz und betrachtete die Sonne, die über der Autobahn unterging. Mit dem Einsetzen der Dunkelheit leuchteten die Scheinwerfer der Fahrzeuge wie Glühwürmchen in der Nacht. Es war immer leichter, die Dinge aus der Ferne zu betrachten. Es war immer leichter, unterwegs zu sein. Die Probleme entstanden erst, wenn man stehen blieb und sich einmischte. Sie betrachtete die Autobahnverbindung. Die hatten sie benutzt, als sie aus Norwegen zurückgekehrt und in ihr Haus eingezogen waren. Damals hatte alles rosarot ausgesehen. Der kleine Walther in ihrem Bauch, die neue Praxis, ein gemeinsames Haus, sie und Stig … Scheißdreck! Er wartete mit dem Abendessen auf sie. Ihre Versöhnungsmahlzeit. Sie schaute auf die Zeitanzeige ihres iPhones. Viel zu spät. Schon vor Stunden hatte er mehrmals versucht, sie zu erreichen, um zu fragen, wo sie bleibe. Sie verfluchte sich dafür, dass sie die Stummschaltung aktiviert hatte. Im Laden der Tankstelle hatten sie keinen Wein, nur Bier gehabt. Sie kaufte zwei Sixpacks Ceres Royal und hoffte, dies wäre ein passendes Versöhnungsgeschenk.
     
    Sie roch den Grilldunst, als sie das Haus betrat. Sie ging in das dunkle Wohnzimmer. Durch die offene Terrassentür sah sie Stig draußen sitzen. Er saß mit dem Rücken zu ihr und starrte in die Glut. Sie stellte die beiden Sixpacks auf den gedeckten Tisch. Er hatte bereits gegessen.
    »Entschuldige, mir ist völlig die Zeit davongelaufen«, sagte sie.
    »Ist schon okay.« Stig schaute sie an. Er hatte einen enttäuschten Zug um den Mund. »Hast du Hunger? Der Grill ist noch warm.«
    Sie schüttelte den Kopf und setzte sich. »Durst?«, fragte er und riss die Plastikverpackung des Dosenbiers auf.
    »Ja, warum nicht.«
    Sie tranken schweigend. Vom Nachbargrundstück war ein schrilles Lachen zu hören. Der Schein der bunten Lämpchen, die über der Terrasse hingen, drang durch die Lücken in der Hecke zu ihnen. Maja war sicher, dass die Lampen zu Weihnachten gegen Lichterketten und leuchtende Rentiere ausgetauscht wurden.
    »Wo warst du die ganze Zeit?«
    »Äh, was?«, fragte sie und drehte ihm den Kopf zu. »Ich war bei einer Freundin.«
    »Du hättest anrufen können.«
    »Ja, das hätte ich tun sollen.«
    Er schaute sie misstrauisch an, sagte aber nichts. Im Grunde schien es ihm gleichgültig zu sein. »Sie haben Glanzbildchen und irgendein Buch gefunden.«
    Sie wollte gerade die Dose zum Mund führen, stellte sie aber wieder auf den Tisch. »Woher weißt du das?«
    »Aus den Nachrichten.«
    »Okay«, entgegnete Maja und lehnte sich zurück. »Was haben sie gesagt?«
    Stig zuckte die Schultern. »Ich habe nur mit einem Ohr hingehört. Sie haben einen Kommissar interviewt, irgendeinen Tom soundso. Der

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