Die Geisel
diskret und gut zusammengestellt. Die Verschlüsselung ihrer Kommunikation hatte ein Niveau erreicht, dem selbst Interpol nicht gewachsen war. Alles sah so vielversprechend aus. Milde Winter und brütend heiße Sommer. Er musste noch ein paar Anrufe erledigen, ehe er nach Hause fahren konnte. Es gab immer etwas zu tun. Stets kleine Brände zu löschen. Sie mussten die beiden unbedingt aufhalten, ehe die Dinge aus dem Ruder liefen. Damit ihr Kreis weiter bestehen konnte.
50
Es war drei Uhr nachts, und sie hatten die zweite Flasche Wein geöffnet. Der Sancerre war von einem vollmundigen kalifornischen Chardonnay abgelöst worden, der gemeinsam mit Katarines Ephedrin und Majas King-Zigaretten dafür sorgte, dass sie durchhielten. Sie hatten sich durch Zeugenaussagen geackert und die Wege der Jungen bis zu ihrer Ermordung kartografiert. Sie hatten die Erklärungen der Angehörigen abgeglichen, um sich zu vergewissern, dass es keine Widersprüche gab. Sie hatten nach Hinweisen gesucht, die womöglich ein Licht auf Sørens rätselhafte Andeutungen werfen konnten. Aber die Zeugenaussagen enthielten nichts, das auf einen möglichen Missbrauch oder auf Timmies Versteck hinwies. Søren hatte gesagt, Timmie befinde sich beim Felsen der Verlassenen in der Lagune der Meerjungfrauen, doch trotz ihrer intensiven Suche hatten sie nach wie vor keine Idee, worauf diese Beschreibung anspielen könnte.
Sie hatten die Obduktionsberichte gelesen und die Fotos der obduzierten Leichen studiert. Die Tötungsart war stets identisch, hingegen waren die physischen Schäden nach dem sexuellen Missbrauch unterschiedlich. Bei Dennis, Johnnys Sohn, waren die Verletzungen so umfassend, dass möglicherweise mehrere Täter in Betracht kamen, obwohl auch hier keinerlei DNS-Spuren vorhanden waren. Weiter waren sie nicht gekommen.
Maja versah die Landkarte der Umgebung mit Heftzwecken. Die Fundorte markierte sie mit roten Heftzwecken, die Wohnorte der Jungen mit blauen. Rechts von der Karte hing eine Vergrößerung von Sørens Zeichnung. Von jener Zeichnung, die er als »Karte von Timmies Gedanken« beschrieben hatte.
Maja betrachtete abwechselnd die Zeichnung und die Karte. Irgendwas an den dicken Linien, die quer über die Zeichnung verliefen, erinnerte an Wege. Doch fand sie nirgends eine Entsprechung auf der Karte.
»Als würde man eine Epidemie kartografieren. Hier ist der Ansteckungsherd«, sagte sie und zeigte auf Sørens Wohnung, die sich mitten auf der Karte befand. »Und hier sind die infizierten Außengebiete.« Sie ließ den Finger von einem Fundort zum nächsten wandern. »Hast du eine Idee, warum er genau diese Orte ausgewählt hat, um die Jungen zu töten?«
Katrine nickte und leerte ihr Weinglas. »Aus praktischen Gründen. So musste er mit den Opfern keinen weiten Weg zurücklegen. Alle Fundorte, abgesehen von Olivers, befinden sich in Gehentfernung von ihren Elternhäusern. Zugleich sind die Orte so entlegen, dass er seine Vorhaben in aller Ruhe in die Tat umsetzen konnte.«
Maja warf Katrine einen skeptischen Blick zu. »Habt ihr schon mal überlegt, dass auch ein übergeordnetes System dahinterstecken könnte?«
»Wie meinst du das?«
»Dass es einen anderen Grund geben könnte, warum er ausgerechnet diese Orte ausgewählt hat.«
»Denkst du an irgendein Ritual?«
Maja betrachtete erneut die Zeichnung. »Als ich zum ersten Mal davon hörte, dachte ich gleich, dass es die Orte sind, wo wir als Kinder gespielt haben. Vielleicht hatten sie für Søren eine besondere Bedeutung.«
Katrine nickte bedächtig. »Vielleicht hat er genau das gemeint, wenn er sagte, er wolle sie nach Nimmerland mitnehmen.«
Maja rieb sich nachdenklich das Kinn. »Dennis hat so gern Fußball gespielt, und ihr habt ihn beim Fußballplatz im Park gefunden. Lasse hat es geliebt, oben bei den Bahngleisen zu spielen, wo seine Leiche entdeckt wurde. Oliver wurde im Wald getötet. War er nicht bei den Pfadfindern?«
Katrine runzelte die Stirn und griff nach der Weinflasche, die auf dem Tisch stand. »Ich glaube, er mochte Flugzeuge.«
»Okay, dann stimmt das eben nicht ganz, aber was ist mit Timmie? Wofür interessiert er sich?«
Katrine füllte ihr Glas bis zum Rand und stellte die Flasche wieder weg.
»Ich weiß es nicht. Er war anscheinend ein stiller Junge, der meistens für sich geblieben ist.«
»Er ist ein stiller Junge«, korrigierte Maja. »Was ist mit Søren? Hatte er irgendwelche Hobbys?«
»Abgesehen vom Töten kleiner
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