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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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hat Timmie! Sie sind auf den Schienen!«
    Maja wartete nicht auf eine Antwort. Sie ließ die Thermoskanne fallen, die krachend auf dem Asphalt landete. Der heiße Kakao spritzte ihre Beine hinauf. Doch sie spürte keinen Schmerz. Stattdessen begann sie, auf Søren zuzulaufen. Sie hoffte, dass Katrine sie gehört hatte und die Scharfschützen sie beobachteten und die übrigen Einheiten alarmierten. Søren ins Fadenkreuz nahmen und abdrückten. Das Singen der Oberleitung schwoll an. Sie versuchte, ihre Schritte zu beschleunigen, doch die Weste und ihr schwangerer Bauch machten das unmöglich. Sofort war sie völlig außer Atem. Es war eine Frage von Sekunden, bevor der Zug eintraf und alles vorbei war. Sie erreichte das Ende des Bahnsteigs. Hinter sich nahm sie laufende Schritte wahr. Das musste Katrine mit ihren Männern sein. Doch hatte sie jetzt keine Zeit, sich umzudrehen und nachzusehen. Eine Treppe führte zu dem gekachelten Gang hinunter, der sich zwischen den Gleisen erstreckte. Der Gang führte zum Materialschuppen, dessen Tür sperrangelweit offen stand. Im Schuppen lag eine leblose Gestalt auf dem Boden. Es war ein Polizist in Uniformjacke und dunkler Hose. Søren musste ihn überwältigt haben, als er Zuflucht im Schuppen gesucht hatte.
    »Søren?«, rief sie ins Dunkel. »Søren, lassen Sie Timmie frei!«
    Sie hastete um den Schuppen herum und trat ein Stück beiseite. Ließ ihren Blick durch die Finsternis schweifen. Er war verschwunden. Sie spürte, wie die Erde unter ihren Füßen vibrierte. Das Kreischen der Oberleitung schmerzte in ihren Ohren. »Søren!«
    »Ich heiße Pan. Wann lernst du das endlich, Wendy?«
    Sie fuhr herum und erblickte ihn. Er stand ein Stück entfernt auf den erhöht liegenden Gleisen und schaute auf sie herab. »Wie schön, dass du gekommen bist«, sagte er lächelnd. Er wurde vom grellen Scheinwerfer des Triebwagens erfasst. Der Zugführer hupte verzweifelt, der durchdringende Ton gellte durch die Nacht. Søren breitete die Arme aus, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Er wirkte wie der Gott der Unterwelt in einem Meer aus Licht. Dann sah sie das Bündel in seinen Armen. Durch den schiefen Blickwinkel konnte sie nicht erkennen, um was es sich handelte. Aber das war auch nicht notwendig. Sie wusste, dass es Timmie war. Søren musste ihn betäubt haben. Das durfte nicht geschehen. Sie weigerte sich, es zu glauben. Sie würde ihn erreichen, ehe der Zug ihn erreichte. Würde ihm Timmie aus den Armen reißen. Das Licht blendete sie. Sie stolperte den niedrigen Schotterdamm zu den Schienen hinauf. Fand ihr Gleichgewicht wieder. Tastete nach Granit und Stahl und zog sich zu den Schienen empor. Die Scheinwerfer des Zuges tauchten das Bündel in gleißendes Licht. Es war nicht Timmie. Es war die Tasche, die sie gesehen hatte. Timmies Tasche. Das Dröhnen des Zuges war infernalisch. Sie wusste, dass sie wegen einer blauen Schultasche sterben würde …
    Sie warf sich Søren entgegen. Spürte seinen Körper. Trotz seiner schmächtigen Gestalt war er schwer wie eine Bowlingkugel. Der Fahrtwind des Zuges warf sie einfach um, schleuderte sie den Damm hinunter, während der Schotter ihre Haut aufriss und auf sie einschlug. Der Zug brauste vorbei. Sie hörte das Schreien der Bremsen. Ihr wurde schwarz vor Augen. Es brüllte in ihren Ohren. Als befände sie sich in einem Orkan aus Metall.
    Sie versuchte aufzustehen, doch es gelang ihr nicht. Ein Stück von ihr entfernt kam Søren langsam zu sich. Er mühte sich auf die Beine, schwankte ein wenig. Und ging ihr entgegen. Mit geballten Fäusten.
    »Ist was passiert?«, fragte er.
    Sie versuchte, von ihm wegzukrabbeln. Zu flüchten. Da ruckte es in Sørens Schulter, als wäre er von einer gewaltigen Kraft nach vorn gestoßen worden. Er schrie auf und stürzte zu Boden. Eine Sekunde später hörte sie den verspäteten Knall vom Dach des Einkaufszentrums. »Du hast mich verraten«, sagte er und stand auf. Er begann, über den Bahndamm zu laufen, dem Zug entgegen, der ein paar hundert Meter von ihnen entfernt zum Stehen gekommen war. Sie dachte, dass er nicht weit kommen würde. Hinter sich hörte sie Schritte.
    »Maja … Bist du okay?« Katrine ging neben ihr in die Hocke. In der Hand hielt sie ihre Glock 17.
    Maja nickte. Es schmerzte, wenn sie den Kopf bewegte.
    In diesem Moment knatterten über ihnen die Rotorblätter des Fennec-Hubschraubers. Ein heller Lichtkegel, der von seiner Unterseite ausging, schnitt durch die Nacht. Die

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