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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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Satellitenkommunikationssystem des Hubschraubers sandte er die Daten direkt an den Schockraum des Krankenhauses.
    Ein paar Minuten später senkte sich der Hubschrauber langsam auf die Landeplattform hinab, die wie ein großer Teller unter ihnen lag. Nach der Landung öffnete sich die Heckklappe des Hubschraubers, worauf Maja sofort hinausgerollt wurde. Auf dem Dach, das sich fünfundachtzig Meter über der glitzernden Großstadt befand, pfiff ein heftiger Wind. Sie überquerten die Plattform und erreichten den langen Gang, der sich bis zur Ankunftshalle erstreckte.
    »Mein Kind …«, flüsterte Maja. Sie sah, dass der Arzt ihre Hand hielt, doch sie spürte es nicht. »Wir müssen Sie erst mal stabilisieren«, sagte er ruhig.
    In der Ankunftshalle schoben sie die Bahre in einen Aufzug und fuhren sie zum Schockraum. Dort war man schon auf ihre Ankunft vorbereitet. Sie hoben sie von der Bahre und legten sie auf einen Operationstisch. Das Deckenlicht schmerzte in den Augen. Sie hatte pochende Kopfschmerzen und konnte nicht klar sehen. Die Menge der grünen Kittel, die sich um sie versammelt hatten, war überwältigend. Sie wurde an einen neuen Tropf angeschlossen und die Bluttransfusion in Gang gesetzt. Nach zehn Minuten war die Blutung gestoppt. Ihre Koagulationsfähigkeit wurde positiv bewertet, und sie begannen mit einer Reihe von Tests. Maja wusste genau, was geschehen war, dennoch fragte sie.
    »Abruptio placentae«, antwortete der Oberarzt. »Ihr Mutterkuchen hat sich gelöst.«
    Majas Hals war so trocken, dass ihre Stimme schnarrte. »Wie … schlimm ist es?«
    »Ihr Zustand ist stabil.«
    »Und Wal… mein Kind?«
    Sein Blick flackerte. Es war stets ein schlechtes Zeichen, wenn der Arzt einem nicht in die Augen sehen konnte.
    »Wir werden noch ein paar Tests durchführen.«
    »Sagen Sie es mir … Jetzt!«
    »Weder wir noch die Ärzte an Bord des Hubschraubers haben einen Herzschlag feststellen können. Vielleicht spüren Sie selbst irgendwelche Beweg…«
    »Nein.«
    Sie rollten den Scanner an den Operationstisch. Die Krankenschwester rieb ihren Bauch mit Gel ein. Es fühlte sich kühl an. Es war das erste Mal, dass sie etwas spürte, seit man sie von den Eisenbahnschienen geborgen hatte. Die Krankenschwester führte den Schallkopf über ihren Bauch. Auf dem Monitor zeichnete sich das Bild eines Fötus ab. Er lag ganz still. Die Ärzte versammelten sich um den Monitor. Maja sah auf Walnuss’ Finger. Sie bewegten sich nicht.
    Der Oberarzt atmete tief durch und drehte sich zu ihr um. Sie hörte nicht, was er sagte. Das war auch nicht notwendig. Sie wusste, was er sagte. Welches Urteil sein Mund aussprach. Sie ertrug es nicht, das zu hören. Nicht jetzt. Lieber würde sie das endgültige Urteil anzweifeln, wenn es denn schon verkündet worden war. Sie betrachtete ihn wie in Trance. Bemerkte das schwarze Haarbüschel, das aus seinem rechten Nasenloch herausschaute. Die Haare bewegten sich, wenn er sprach.
    »Tut mir leid, Frau Holm …«
     
    Auf dem harten Betonboden der Arrestzelle lag Søren flach auf dem Bauch. Seine angeschwollenen, blutleeren Hände waren immer noch durch Plastikfesseln auf dem Rücken fixiert. Man wollte ihn zusätzlich bestrafen, indem man ihm die Fesseln selbst hier nicht abnahm. Mehrmals hatte er einen Anflug von Panik gespürt, weil die Klaustrophobie sich bemerkbar machte. Doch er weigerte sich, um Hilfe zu rufen. Denn genau das bezweckten sie doch. Der Boden unter ihm roch nach Mörtel, er hatte einen metallischen Blutgeschmack im Mund. Mit der Zunge spürte er, dass einer seiner Backenzähne sich gelöst hatte.
    Er hörte schwere Schritte auf dem Gang. Im nächsten Moment wurde die Zellentür aufgeschlossen. Mühsam drehte er den Kopf, um zu sehen, wer gekommen war. Er sah nur Stiefel und schwarze Hosen, weil sein Blickfeld von der Decke, die man über ihn geworfen hatte, eingeschränkt wurde.
    Doch hatte man die Decke nicht aus Fürsorge über ihn gebreitet. Sie diente einem ganz anderen Zweck. Das hatten sie früher schon ausprobiert. Im Kinderheim - wenn sein Vergehen groß genug und die Bestrafung dementsprechend war. Von allen Seiten hagelten Tritte auf ihn ein. Sie kamen überallher. Er wusste nicht, wie viele Personen es waren. Vielleicht zwei oder drei. Er versuchte sich zusammenzukrümmen. Sich zu schützen. Aber das war unmöglich. Die Stiefel trafen ihn überall. Sie fragten ihn nichts. Wollten keine Antwort. Wollten ihn nur bestrafen. Das war ihr Lohn dafür, ihn endlich

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