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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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passieren.«
    Er schwieg und starrte unverwandt auf den Boden. Seine Hand war schweißnass.
    »Mach dir keine Sorgen«, flüsterte sie.
     

30
    Der Mond tauchte den verlassenen Bahnhof in ein fahles Licht und ließ die Gleise matt schimmern.
    Maja stand allein auf dem menschenleeren Bahnsteig. Durch die kugelsichere Weste unter ihrer hellen Burberryjacke fühlte sie sich noch schwangerer, als sie ohnehin schon war. Die vom Sonderkommando zur Verfügung gestellte Spezialweste saß so eng, dass Maja in der warmen Tropennacht kaum Luft bekam.
    Im linken Ohr saß ein Knopf, über den sie mit den verschiedenen Einheiten der Polizei und der Kommandozentrale in der Feuerwache verbunden war. Im Ärmel steckte ein Mikrofon, das sie nur im Notfall benutzen sollte. Es kam ihr unwirklich vor, dass man sie auf der Bahnstation ihres Heimatorts wie eine Geheimagentin ausgestattet hatte.
    Über den Knopf im Ohr hörte sie unablässig die Gespräche zwischen den Einheiten und der Kommandozentrale. Die Fahndung nach Søren im Bregnehøjpark hatte nichts ergeben. Die Polizisten waren vielmehr von einer Horde Jugendlicher mit Steinen beworfen worden und hatten den Rückzug antreten müssen.
    Auch die Zivilbeamten in den Zügen meldeten sich von Zeit zu Zeit. Bisher hatte keiner von ihnen Søren oder Timmie zu Gesicht bekommen.
    Allmählich bekam Maja ein Auge für die Beamten in den Vorortzügen. Die meisten standen und hielten sich an den Halteschlaufen fest, während sie vorsichtig in alle Richtungen spähten. Ansonsten blieb die Polizei nahezu unsichtbar.
    Katrine hatte sich mit zwei Mitgliedern des Sonderkommandos in das geschlossene Kassenhäuschen zurückgezogen. Sie wollte Maja so nah wie möglich sein und hielt mit Tom in der Feuerwache Verbindung.
    Die Scharfschützen der Sonderkommandos lagen auf dem Dach des Einkaufszentrums gegenüber der Bahnstation. Zwei Mal hatten sie zu Maja Kontakt aufgenommen. Das erste Mal, um sie zu bitten, weiter auf den Bahnsteig hinauszugehen, weil ihnen das Bahnhofsdach die Sicht versperrte. Das zweite Mal, um sie freundlich zu bitten, nicht ständig angstvoll zu ihnen hinüberzublicken. Verlegen hatte sie ihre Anweisungen befolgt.
    Wo die anderen Einheiten postiert waren, wusste sie nicht. Nur dass sie sich irgendwo im Dunkeln bereit hielten. Trotz der angespannten Situation fühlte sie sich erstaunlich sicher. Sie war sich gewiss, dass Søren sofort überwältigt werden würde, sobald er sich in der Öffentlichkeit zeigte. Zu ihr auf den Bahnsteig würde er gar nicht vordringen können.
    Die Oberleitung über dem äußersten Gleis begann zu singen. Der Ton wurde immer schriller, bis der Regionalzug vorbeidonnerte. Sie hätte sich fast zu Tode erschrocken.
    Sie dachte an Stig, der in der Feuerwache wartete. Bei ihrem Abschied hatte er ihr eine Thermoskanne mit Kakao gegeben, wie Søren sie für Timmie bestellt hatte. Stig hatte gesagt, sie solle nicht zögern, die Kanne Søren ins Gesicht zu schleudern. Sie hatte es versprochen. Zur Verteidigung hatte sie auch ihr Skalpell in die Hosentasche gesteckt. Doch war es nicht so sehr ihre eigene Sicherheit, um die sie sich sorgte, sondern die von Timmie. Søren hatte diesen Bahnhof nicht zufällig ausgewählt. Hier hatte er sein erstes Opfer getötet. Weniger als hundert Meter von der Bahnlinie entfernt.
    Über den Knopf im Ohr hörte sie plötzlich eine kurze Meldung, die sie nicht verstand. Kurz darauf rollte ein weiterer Zug in den Bahnhof ein. Ein junges Paar stieg aus und spazierte an ihr vorbei in Richtung Ausgang. Sie bemerkte den Zivilbeamten im hintersten Wagen. Als ihr bewusst wurde, dass sie ihn anstarrte, wandte sie rasch den Kopf ab. Von Søren war weiterhin nichts zu sehen. Die Türen schlossen sich, die Räder setzten sich erneut in Bewegung.
     
    Im Lauf der nächsten Dreiviertelstunde kamen weitere sechs Züge vorbei. Drei in jede Richtung. Es war bereits kurz vor Mitternacht, und der Glaube, dass Søren den Jungen auf dem Bahnhof abliefern würde, schwand allmählich. Maja musste auf die Toilette. Sie wusste, dass der letzte Zug erst in zweiunddreißig Minuten auftauchen würde. Bis dahin musste sie durchhalten. Dass die stramme Weste zusätzlich auf ihre Blase drückte, machte die Situation nicht einfacher.
    In der Ferne zeichneten sich die Scheinwerfer des nächsten Zuges ab. Sie wurden immer größer und heller, bis der Zug schließlich auf dem Bahnsteig einrollte. Im selben Moment hielt ein Zug auf der anderen Seite. Maja war

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