Die Geisel
zugeben, dass er einen enormen Sachverstand hat, wenn es um Sexualverbrecher geht.« Katrine schnaubte verächtlich. »Na und ob. Aber ich traue ihm trotzdem nicht.«
»Magst du ihn nicht oder traust du ihm nicht?«
»Beides. Bist du dir darüber im Klaren, wie oft er schon zugunsten dieser Schweine ausgesagt hat?«
»Nein. Aber er hat eine fünfundzwanzigjährige Berufserfahrung und ist einer der größten Experten auf seinem Gebiet«, antwortete Maja und schloss die Autotür hinter sich. Sie ließ den Motor an und betrachtete Katrine, die kopfschüttelnd zu ihrem Mondeo ging.
38
Sie fuhren nach Diget - zu einem erst kürzlich entstandenen exklusiven Wohnviertel, dessen luxuriöse Eigentumswohnungen einen freien Blick auf die Bucht gewährten. Thorbjørn Larsen wohnte ganz oben in einer der Penthousewohnungen.
Als sie im Aufzug, der einem gläsernen Turm glich, an der Fassade hochfuhren, konnten sie einen Blick über die Bucht werfen. In der Ferne schimmerten die Lichter der Bürgerwehr wie kleine Sterne. Auf ihrer Jagd nach Timmie musste sie bald die gesamte Gegend abgesucht haben.
Larsen begrüßte sie im Hawaiihemd und führte sie durch den Eingangsbereich. Die Cohiba-Zigarre in seinem Mundwinkel zog eine lange Rauchfahne hinter ihm her. Ein deutsches Trinklied schallte aus dem Esszimmer zu ihnen herüber.
»Wir hätten Sie nicht gestört, wenn es nicht so wichtig wäre«, sagte Maja.
»Schon in Ordnung. Lassen Sie sich von meinem Barolo-Klub nicht stören. Ich glaube, die Jungs haben ein bisschen zu tief ins Glas geschaut.«
Maja spähte im Vorbeigehen durch die Türöffnung ins Esszimmer. Zehn bis zwölf Männer mittleren Alters, alle im Hawaiihemd, hatten sich um einen langen Tisch gruppiert. Sie grölten und schlugen mit den Fäusten auf den Tisch, dass der Rotwein in den Gläsern schwappte.
»Sieht eher wie ein Saunaclub aus«, murmelte Katrine hinter ihr.
Larsen spazierte durch mehrere, edel und minimalistisch eingerichtete Räume, bis sie sein Arbeitszimmer am Ende des Apartments erreichten. Larsen schloss die Tür hinter ihnen. Dieses Zimmer war offenbar sein Rückzugsort. Die Möbel waren heruntergekommen, und es herrschte kein geringeres Chaos als in seiner Praxis. Er knipste die Schreibtischlampe an und räumte die Tischplatte einigermaßen frei. »Sie haben also das Buch und die Glanzbildchen in Pans … ich meine, in Sørens Wohnung gefunden?«
»Ja«, antwortete Maja. »Über den Deckenplatten im Schlafzimmer. Genau über seinem Bett.«
Larsen riss erstaunt die Augen auf. »Hatte er Ihnen erzählt, wo Sie das Buch finden können?«
Maja schüttelte den Kopf und berichtete rasch von Sørens kryptischen Andeutungen. Dass sie das Buch und die Bilder gefunden hätten, sei reiner Zufall gewesen.
»Beeindruckend«, sagte Larsen. »Wirklich beeindruckend.«
Katrine nahm das Buch aus dem Klarsichtbeutel und legte es vorsichtig auf den Tisch. Dann öffnete sie den zweiten Beutel und legte das Blatt mit den Glanzbildchen daneben.
»Bitte hinterlassen Sie keine Fingerabdrücke«, sagte Katrine und gab Larsen einen Kugelschreiber zum Umblättern.
Larsen setzte seine Lesebrille auf die äußerste Nasenspitze und begann zu blättern. Bei einer der übermalten Seiten hielt er inne. »Wirklich schwer zu sagen, was das hier darstellen soll, doch scheint er äußerst verstört gewesen zu sein.«
»Die medizinische Beurteilung sollten wir vielleicht der Gerichtspsychiatrie überlassen«, entgegnete Katrine trocken. »Sein Geisteszustand wird bereits untersucht.«
Larsen lächelte sie hintergründig an. »Haben Sie Angst, dass er mit Sicherheitsverwahrung davonkommt, Frau Kommissarin?« Mit seinen Fingern malte er Anführungszeichen in die Luft. »Ich weiß doch, dass Sie es kaum erwarten können, ihn hinter Schloss und Riegel zu bringen.«
»Ich will nur, dass Gerechtigkeit geschieht.«
Larsen wandte sich wieder dem Buch zu. »Am liebsten so wie im Alten Testament, nicht wahr?«
Katrine überhörte diese Bemerkung. Maja entging nicht der angespannte Zug um ihre Mundwinkel und blickte rasch zu Larsen. »Sagt Ihnen das etwas?«, fragte sie vorsichtig.
Larsen überflog die letzten Seiten, ehe er antwortete.
»Ja und nein. Meine Patienten drücken ihre Fantasien ja auf verschiedene Art und Weise aus. Manche schreiben, andere zeichnen oder malen, und der Inhalt ist meistens sehr gewalttätig und explizit. Pervers in seiner Form. Aber so sehe ich diese Zeichnungen nicht.«
Katrine schaute ihn
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