Die Geisel
ungläubig an. »Und was ist damit hier?« Sie blätterte mit dem Kugelschreiber hastig zu einer Seite, auf der ein ejakulierendes Glied zu sehen war.
Larsen schüttelte den Kopf. »Ich sage nicht, dass die Zeichnungen frei von einer gewissen Sexualisierung sind. Aber sie sind frei von Lust. Sie haben etwas Ohnmächtiges … Angstvolles an sich, wie man es von manchen Patienten aus der Psychotherapie kennt. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, dass die Zeichnungen nicht von einem Täter, sondern von einem Opfer stammen.«
Katrine schnaubte. Sie nahm das Buch und schob es wieder in den Beutel. »Es gibt noch keinen Grund, ihn freizusprechen, Herr Professor, nur weil man ihn als Kind zu früh aufs Töpfchen gesetzt hat.«
Larsen blickte sie überrascht an. »Das tue ich auch nicht. Aber sind Sie sich überhaupt sicher, dass es wirklich sein Buch ist?«
»Wir sind uns bei gar nichts sicher«, antwortete Maja und lächelte diplomatisch. »Deshalb sind wir zu Ihnen gekommen, um uns Rat zu holen.«
Larsen brummte. »In Anbetracht des Fundorts muss das Buch zumindest eine große Bedeutung für ihn haben.«
»Warum das?«, wollte Maja wissen.
»Weil es das Erste ist, zu dem er aufblickt, wenn er morgens aufwacht, und das Letzte, bevor er die Augen schließt.«
Hinter ihnen wurde die Tür geöffnet, und ein jüngerer Mann streckte den Kopf durch den Spalt. Er war attraktiv, hatte hohe Wangenknochen und volle Lippen. Der Mann trug ein viel zu großes Hawaiihemd, das offenbar nicht sein eigenes war.
»Kann ich euch irgendwas bringen?«, fragte er lächelnd.
Ohne Maja und Katrine anzuschauen, wandte sich Larsen sogleich zu ihm um. »Danke, Erik, wir sind gleich fertig.«
Der junge Mann lächelte erneut und zog behutsam die Tür wieder zu.
Larsen hob den Klarsichtbeutel mit den Glanzbildchen hoch und betrachtete ihn eingehend. »Was haben die Psychologen von der Gerichtspsychiatrie denn herausgefunden?«
»Darüber darf ich nichts sagen«, antwortete Katrine.
»Claus … Willum hat mir erzählt, dass Søren nicht sehr kooperativ ist«, teilte Maja mit.
Katrine runzelte irritiert die Stirn.
Larsen lächelte, ohne den Blick von den Glanzbildchen abzuwenden. »Na, dann scheint er ja wirklich eine Aufgabe zu haben … Wissen Sie, dass Willum mich den Verrückten Professor nennt?«
»Das habe ich noch nie gehört«, antwortete Maja und senkte den Blick. »Aber wie beurteilen Sie Sørens mythologisches Universum? Diese vier Figuren, auf die er sich ständig bezieht? Ich als Wendy, Frau Bergman als Tigerlilly, die Opfer als die verlorenen Jungen und sich selbst als Peter Pan. Wie ist das zu verstehen?«
»Nun, da ich ja nicht selbst mit ihm gesprochen habe, weiß ich nicht, wie insistierend er ist.«
»Sehr«, sagte Maja.
»Trotzdem würde ich nicht allzu viel hineininterpretieren. Das wirkt doch eher wie eine klassische Psychose. Käpt’n Hook repräsentiert die dunkle Seite, die Søren zu verneinen versucht.«
»Sie meinen also, es gibt ihn gar nicht im wirklichen Leben?«
Larsen schaute sie überrascht an. »Nein … Ist die Polizei da anderer Meinung?«
Katrine schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Søren handelt auf eigene Faust.«
Larsen breitete die Arme aus. »Aber trotzdem kann es natürlich einen Käpt’n Hook in seiner Kindheit gegeben haben. Es ist gut möglich, dass er anderen jetzt das antut, was ihm früher angetan wurde. Er durchlebt die Übergriffe ein weiteres Mal, allerdings jetzt in der Rolle des Täters.«
»Eben ein weiterer perverser Wirrkopf, der seine Hände nicht im Zaum halten kann«, sagte Katrine bissig.
Maja gab ihr mit einer Geste zu verstehen, sie solle sich ein wenig zurückhalten. Katrine zuckte die Schultern.
»Gibt es sonst noch etwas, das wir wissen sollten, ehe wir wieder mit ihm sprechen?«, fragte Maja.
Larsen zeigte auf den Rand des Blattes, auf dem sich die Glanzbildchen befanden. »Vielleicht ist das nicht so wichtig, aber dieses Blatt stammt aus dem Jahr 1975. Da war Søren acht, neun Jahre alt. Das Blatt stammt also aus seiner eigenen Kindheit. Wer weiß, was er damit verbindet.« Er gab Katrine den Beutel zurück.
»Danke für Ihre Hilfe«, sagte Maja.
»War doch nur eine Kleinigkeit«, entgegnete er und klopfte sich selbst auf die Brust. »Jedenfalls können wir feststellen, dass er Timmie nicht getötet hat.«
Maja und Katrine schauten ihn überrascht an.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Katrine.
»Durch die Glanzbildchen, die
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