Die Geisha - Memoirs of a Geisha
einen Krebs kochen muß oder etwas anderes, das noch lebt, kriegt sie nasse Augen und singt ihnen was vor.«
Dann lehrte mich Herr Tanaka ein kleines Lied – eigentlich fast eine Art Gebet –, das vermutlich seine Frau erfunden hatte. Sie sang es den Krebsen vor, wir aber änderten den Text für die Fische ab:
Suzuki yo suzuki!
Jobutsu shite kure!
Kleiner Barsch, ach, kleiner Barsch!
Freu dich auf dein Dasein als Buddha!
Dann lehrte er mich noch ein anderes Lied, ein Wiegenlied, das ich noch nie gehört hatte. Wir sangen es für eine Flunder, die auf der Ladefläche ganz für sich in einem flachen Korb lag und deren Knopfaugen hin und her huschten.
Nemure yo, ii karei yo!
Niwa ya makiba ni
Tori mo hitsuji mo
Minna nemureba
Hoshi wa mado kara
Gin no hikari o
Sosogu, kono yoru!
Schlaf ein, du liebe Flunder!
Wenn alle schlafen –
Selbst Vögel und Schafe
In den Gärten und Feldern –
Werden die Sterne heute abend
Ihr goldenes Licht
Aus den Fenstern verströmen.
Als wir kurz darauf den Hügelkamm erreichten, war unter uns Senzuru zu sehen. Es war ein trüber Tag, alles war in verschiedene Grautöne gehüllt. Es war mein erster Eindruck von der Welt außerhalb Yoroidos, und ich dachte mir, daß ich nicht viel verpaßt hätte. Ich sah die Strohdächer des Dorfes rings um eine schmale Bucht, umgeben von langweiligen Hügeln, und dahinter das metallgraue, von weißen Schaumfetzen gekrönte Meer. Landeinwärts hätte die Landschaft attraktiv sein können, wären nicht die Eisenbahnschienen gewesen, die sie durchschnitten wie eine Narbe.
Senzuru war vor allem ein schmutziger, übelriechender Ort. Selbst das Meer verbreitete einen unangenehmen Geruch, als hätten alle Fische darin zu faulen begonnen. Rings um die Holzbeine der Pier wiegten sich Gemüsereste wie die Quallen in unserer kleinen Bucht. Die Boote waren so ramponiert, daß sie aussahen, als hätten sie miteinander gekämpft.
Satsu und ich saßen sehr lange auf der Pier, bis Herr Tanaka uns schließlich in die Zentrale der Fischfabrik holte und einen langen Gang entlangführte. Der Gang hätte nicht stärker nach Fischinnereien stinken können, wenn wir uns wirklich in einem Fisch befunden hätten. Aber am anderen Ende lag zu meiner Überraschung ein Büro, das für meine neunjährigen Augen wunderschön aussah. Satsu und ich standen an der Tür barfuß auf einem glitschigen Steinfußboden. Unmittelbar vor uns führte eine Stufe zu einer mit Tatami-Matten bedeckten Plattform hinauf. Vielleicht war es dies, was mich so stark beeindruckte: Der erhöhte Fußboden ließ alles viel großartiger erscheinen. Wie dem auch sei, ich hielt es für den schönsten Raum, den ich jemals gesehen hatte – obwohl ich natürlich heute lachen muß, wenn ich daran denke, daß das Büro eines Fischgroßhändlers in einem winzigen Dorf am Japanischen Meer einen so großen Eindruck auf mich machen konnte!
Auf der Plattform saß auf einem Kissen eine alte Frau, die sich erhob, als sie uns sah, und an den Plattformrand kam, um sich dort auf die Knie niederzulassen. Sie war sehr alt und blickte mürrisch drein, und ich glaube, ich hatte noch nie einen Menschen gesehen, der soviel herumzappelte wie sie. Wenn sie nicht ihren Kimono glättete, wischte sie sich etwas aus dem Augenwinkel oder kratzte sich die Nase, wobei sie ständig seufzte, als täte es ihr sehr leid, soviel herumzappeln zu müssen.
»Das ist Chiyo-chan«, sagte Herr Tanaka zu ihr, »und ihre ältere Schwester Satsu-san.«
Ich verneigte mich ein wenig, was die Zappelfrau mit einem Nicken quittierte. Dann stieß sie den tiefsten Seufzer aus, den ich bis dahin gehört hatte, und begann mit einer Hand an einer schorfigen Stelle an ihrem Hals zu zupfen. Ich hätte gern den Blick abgewandt, doch ihr Blick hielt den meinen fest.
»Du bist also Satsu-san, oder?« sagte sie. Dabei hatte sie aber immer noch mich im Auge.
»Ich bin Satsu«, sagte meine Schwester.
»Wann bist du geboren?«
Da Satsu nicht recht zu wissen schien, welche von uns die Zappelfrau meinte, antwortete ich an ihrer Statt. »Sie ist im Jahr der Kuh geboren«, erklärte ich.
Die Alte streckte die Hand aus und tätschelte mich. Aber das tat sie auf eine sehr merkwürdige Art, indem sie mir ihre Finger mehrmals kräftig ins Kinn stieß. Daß dies als Tätscheln gedacht war, erkannte ich daran, daß sie ein freundliches Gesicht machte.
»Die hier ist ziemlich hübsch, was? Und diese auffallenden Augen! Außerdem merkt man, daß sie klug
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