Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Mädchen werden hier auf mich warten.«
Als Herr Tanaka die Tür hinter sich geschlossen hatte, drehte ich mich zu Satsu um, die auf der Kante der Plattform saß und den Blick zur Decke richtete. Aufgrund ihrer Gesichtsform hatten sich die Tränen oberhalb ihrer Nasenflügel gesammelt. Als ich sie so traurig sah, brach ich ebenfalls in Tränen aus. Ich fühlte mich schuldig an dem, was geschehen war, und wischte ihr die Tränen mit einem Zipfel meines Bauernhemdes ab.
»Wer war diese gräßliche Frau?« fragte sie mich.
»Das muß eine Wahrsagerin sein. Vermutlich will Herr Tanaka soviel wie möglich über uns in Erfahrung bringen…«
»Und warum hat sie uns auf diese furchtbare Art angeschaut?«
»Aber begreifst du denn nicht, Satsu-san?« antwortete ich. »Herr Tanaka will uns adoptieren.«
Als sie das hörte, begann Satsu zu zwinkern, als wäre ihr ein Tierchen ins Auge geraten. »Was redest du da?« sagte sie. »Herr Tanaka kann uns nicht adoptieren.«
»Vater ist so alt… Und nun, da unsere Mutter krank ist, macht sich Herr Tanaka, glaube ich, Sorgen um unsere Zukunft. Weil es keinen gibt, der sich um uns kümmern könnte.«
Als Satsu das hörte, regte sie sich so sehr auf, daß sie aufsprang. Sofort begann sie zu schielen, und ich sah, wie sehr sie sich anstrengte, an dem Glauben festzuhalten, daß nichts uns aus unserem beschwipsten Haus fortzuholen vermochte. Sie preßte die Dinge, die ich ihr sagte, genauso aus sich heraus, wie man Wasser aus einem Schwamm preßt. Allmählich begannen ihre Züge sich zu entspannen, und sie setzte sich wieder auf die Plattform. Kurz darauf blickte sie im Zimmer umher, als hätten wir dieses Gespräch niemals geführt.
Herrn Tanakas Haus lag am Ende eines Feldwegs unmittelbar außerhalb der Ortschaft. Die Kiefern, die es umstanden, dufteten so würzig wie das Meer auf den Klippen bei unserem Haus, und als ich ans Meer dachte und daran, daß ich einen Duft gegen den anderen eintauschen würde, empfand ich eine schreckliche Leere, von der ich mich mühsam losreißen mußte, wie man wohl vom Rand einer Klippe zurücktritt, nachdem man hinuntergesehen hat. Das Haus war großartiger als alles, was ich in Yoroido gesehen hatte. Der Dachvorsprung war so riesig wie der unseres Dorfschreins. Als Herr Tanaka den Vorraum seines Hauses betrat, ließ er die Schuhe einfach dort stehen, wo er sie ausgezogen hatte, denn eine Dienerin kam herbeigeeilt und stellte sie für ihn in ein Regal. Satsu und ich trugen keine Schuhe, die wir hätten wegräumen können. Gerade als ich ins Haus gehen wollte, spürte ich einen leichten Klaps, dann fiel ein Kiefernzapfen auf den Holzboden zwischen meine Füße. Als ich herumfuhr, sah ich ein kleines Mädchen in meinem Alter, das auf einen Baum zueilte, um sich dahinter zu verstecken. Sie war nur wenig kleiner als ich und hatte sehr kurz geschnittenes Haar. Sie lächelte mir zu, wobei sie eine dreieckige Zahnlücke zeigte. Dann lief sie davon und spähte über ihre Schulter, um sich zu vergewissern, daß ich ihr folgte. Es mag seltsam klingen, aber ich hatte noch nie ein anderes kleines Mädchen kennengelernt. Natürlich kannte ich die Mädchen aus meinem Dorf, aber wir waren zusammen aufgewachsen und hatten nie so etwas wie »Kennenlernen« erlebt. Komako dagegen – so hieß Herrn Tanakas Töchterchen – war vom ersten Augenblick an so freundlich, daß ich dachte, es könnte vielleicht doch nicht so schwer sein, von einer Welt in die andere hinüberzuwechseln.
Komakos Kleider waren weitaus feiner als meine, und sie trug Zoris, da ich jedoch ein Dorfmädchen war, lief ich ihr barfuß in das Wäldchen nach. Bei einer Art Spielhaus aus den abgesägten Ästen eines abgestorbenen Baumes holte ich sie ein. Mit ausgelegten Steinen und Kiefernzapfen hatte sie verschiedene Räume markiert. In dem einen tat sie, als serviere sie mir Tee aus einer angeschlagenen Tasse, in einem anderen wechselten wir uns beim Stillen ihrer Babypuppe ab, eines kleinen Jungen namens Taro, der eigentlich nichts weiter war als ein mit Erde gefülltes Leinwandsäckchen. Taro liebe Fremde, behauptete Komako, habe aber große Angst vor Regenwürmern – genau wie zufälligerweise Komako auch. Als wir einen fanden, sorgte Komako dafür, daß ich ihn mit den Fingern hinaustrug, bevor der arme Taro in Tränen ausbrechen konnte.
Ich war entzückt von der Aussicht, Komako zur Schwester zu bekommen. Ja, die majestätischen Bäume und der Kiefernduft – und sogar Herr Tanaka –
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