Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Zeitlang wie gelähmt vor dem Plakat stehen und betrachtete die hübschen Grün- und Goldtöne des Hintergrundes, bevor ich meine Aufmerksamkeit auf das Mädchen im Kimono lenkte. Sie blickte direkt ins strahlende Licht des Sonnenaufgangs, und ihre Augen waren von einem auffallenden Grau. Ich mußte meine Hand aufs Geländer legen, um mich festzuhalten. Denn das Mädchen, das Uchida dort auf der Brücke gemalt hatte, war ich selbst.
Auf dem Heimweg vom Bahnhof wies mich Herr Itchoda auf jedes Plakat hin, an dem wir vorbeikamen, und bat sogar den Rikschakuli, einen Umweg zu machen, damit wir am alten Daimaru-Warenhaus eine ganze Wand mit diesen Plakaten bewundern könnten. Mich selbst so über die ganze Stadt verteilt zu sehen war aber doch nicht ganz so aufregend, wie ich es mir eingebildet hatte, denn immer wieder stellte ich mir vor, wie das arme Mädchen vom Plakat vor einem Spiegel stand, während ein älterer Mann ihren Obi löste. Auf jeden Fall aber erwartete ich im Verlauf der folgenden Tage, alle möglichen Gratulationen zu hören, erfuhr aber schon bald, daß eine so große Ehre wie diese stets auch einen gewissen Preis hat. Seit Mameha mir eine Rolle bei den Tänzen verschafft hatte, waren mir immer wieder unfreundliche Bemerkungen über mich zu Ohren gekommen. Nach dem Plakat wurde es noch viel schlimmer. Am nächsten Morgen wandte zum Beispiel eine junge Lerngeisha, die noch eine Woche zuvor freundlich zu mir gewesen war, den Kopf ab, als ich mich zum Gruß vor ihr verneigte.
Als ich jedoch Mameha in ihrer Wohnung besuchte, wo sie sich erholte, war sie genauso stolz, als wäre sie es, die auf dem Plakat abgebildet war. Von meiner Reise nach Hakone war sie gewiß nicht sehr begeistert, aber sie schien sich meinem Erfolg ebenso eifrig zu widmen wie vorher – seltsamerweise vielleicht sogar noch mehr. Eine Zeitlang befürchtete ich, sie könnte meine schauerliche Begegnung mit dem Baron als Verrat werten. Bestimmt hatte Herr Itchoda ihr davon erzählt… Doch wenn das so war, so schnitt sie das Thema mir gegenüber niemals an, und ich tat es natürlich auch nicht.
Zwei Wochen später wurden die Festtänze eröffnet. Am ersten Tag sprudelte ich in der Garderobe des Kaburenjo-Theaters vor Erregung fast über, denn Mameha hatte mir erzählt, der Direktor und Nobu würden im Zuschauerraum sitzen. Während ich mein Make-up auflegte, schob ich das Taschentuch des Direktors unter meinen Schminkkittel, damit es auf der nackten Haut lag. Die Haare hatte ich mir wegen der Perücken, die ich tragen mußte, mit einem Seidenstreifen fest um den Kopf gebunden, und als ich mich ohne den vertrauten Rahmen meiner Haare im Spiegel betrachtete, entdeckte ich in meinen Wangen und rund um die Augen Konturen, die mir noch nie zuvor aufgefallen waren. Es mag merkwürdig erscheinen, doch als mir klarwurde, daß mich die Form meines eigenen Gesichts überraschte, kam mir unvermittelt die Erkenntnis, daß nichts im Leben je so einfach ist, wie wir es uns vorstellen.
Eine Stunde später stand ich, bereit für den Eröffnungstanz, mit den anderen Lerngeishas in den Theaterkulissen. Wir trugen alle Kimonos in Gelb und Rot, mit Obis in Orange und Gold, so daß jede einzelne von uns wie ein schimmerndes Abbild des Sonnenlichts wirkte. Als die Musik mit dem ersten Dröhnen der Trommeln und dem näselnden Klang der vielen Shamisens einsetzte und wir wie eine Perlenkette gemeinsam hinaustanzten – Arme ausgestreckt, die Fächer aufgeklappt in den Händen –, empfand ich mich so stark wie nie zuvor als Teil eines Ganzen.
Nach der Eröffnungsnummer eilte ich nach oben, um meinen Kimono zu wechseln. Der Tanz, in dem ich als Solotänzerin auftreten sollte, nannte sich »Die Morgensonne auf den Wellen« und handelte von einem jungen Mädchen, das am Morgen im Meer schwimmen geht und sich in einen verzauberten Delphin verliebt. Mein Kostüm war ein herrlicher pinkfarbener Kimono mit einem Wassermuster in Grau, und in der Hand hielt ich blaue Seidenbänder, die das wirbelnde Wasser hinter mir symbolisierten. Der verzauberte Delphinprinz wurde von einer Geisha namens Umiyo gespielt, außerdem gab es noch Rollen für Geishas, die Wind, Sonnenlicht und Gischt darstellen sollten, sowie für ein paar Lerngeishas mit anthrazitgrauen und blauen Kimonos weit hinten auf der Bühne, die Delphine spielten, die ihren Prinzen zu sich zurückrufen.
Mein Kostümwechsel ging so flink vonstatten, daß mir noch ein paar Minuten blieben, um ins Publikum
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