Die Geisha - Memoirs of a Geisha
hinauszuspähen. Ich folgte dem vereinzelten Dröhnen der Trommeln zu einem schmalen, dunklen Gang, der hinter einer der beiden Orchesterlogen des Theaters entlangführte. Dort belagerten schon ein paar Lerngeishas und Geishas die Schlitze in den Schiebetüren. Ich gesellte mich zu ihnen und entdeckte den Direktor und Nobu, die nebeneinandersaßen, obwohl mir schien, der Direktor habe Nobu den besseren Platz überlassen. Nobu blickte konzentriert auf die Bühne, doch zu meiner Überraschung mußte ich feststellen, daß der Direktor einzuschlafen schien. Als ich an der Musik erkannte, daß nun Mamehas Tanz begann, begab ich mich zum anderen Ende des Ganges, wo die Türschlitze einen Blick auf die Bühne boten.
Ich sah Mameha nicht länger als ein paar Minuten zu, und dennoch hinterließ ihr Tanz bei mir einen unauslöschlichen Eindruck. Die meisten Tänze der Inoue-Schule erzählen eine Geschichte, und die Geschichte dieses Tanzes – mit dem Titel »Ein Höfling kehrt zu seiner Ehefrau zurück«– beruhte auf einem chinesischen Gedicht über einen Höfling, der eine lange Liebschaft mit einer Dame im kaiserlichen Palast unterhält. Eines Nachts versteckt sich die Ehefrau des Höflings in der Umgebung des Palastes, um herauszufinden, wo ihr Ehemann seine Zeit verbringt. Schließlich, der Morgen dämmert schon, beobachtet sie aus einem Gebüsch heraus, wie sich ihr Ehemann von seiner Geliebten verabschiedet – aber inzwischen ist sie von der furchtbaren Kälte krank geworden und stirbt bald darauf.
Für unsere Frühlingstänze wurde die Geschichte nach Japan verlegt, davon abgesehen verlief sie jedoch genauso wie in China. Mameha spielte die Ehefrau, die an der Kälte und an gebrochenem Herzen stirbt, während die Geisha Kanako die Rolle des Ehemanns übernahm. Ich sah den Tanz von dem Moment an, da der Höfling sich von seiner Geliebten verabschiedet. Allein schon das Bühnenbild war wunderschön, mit dem sanften Morgenlicht und dem getragenen Rhythmus der Shamisen-Musik, der wie ein Herzschlag im Hintergrund wirkte. Der Höfling vollführte einen bezaubernden Tanz für seine Geliebte, mit dem er ihr für die gemeinsame Nacht dankte, und ging dann dem Licht der aufgehenden Sonne entgegen, um deren Wärme für sie einzufangen. Das war der Augenblick, da Mameha, vor Ehemann und Geliebter auf einer Seite der Bühe verborgen, ihre unendlich traurige Klage zu tanzen begann. Ob es daran lag, daß Mamehas Tanz so überwältigend schön war, oder ob es die Geschichte selbst war, kann ich nicht beurteilen, doch als ich ihr zusah, empfand ich so abgrundtiefen Kummer, als wäre ich selbst das Opfer dieses schrecklichen Verrats. Zum Schluß war die Bühne ganz von Sonnenlicht erfüllt, und Mameha ging zu einer Baumgruppe hinüber, um dort ihre schlichte Todesszene zu tanzen. Was dann geschah, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war zu überwältigt, um länger zuzusehen, und mußte außerdem hinter die Bühne zurückkehren, um mich auf meinen eigenen Auftritt vorzubereiten.
Während ich in den Kulissen wartete, hatte ich das seltsame Gefühl, das Gewicht des ganzen Gebäudes laste auf mir, denn Traurigkeit war mir schon immer als etwas merkwürdig Schweres vorgekommen. Eine gute Tänzerin trägt ihre weißen, geknöpften Socken oft eine Nummer zu klein, damit sie mit ihren Füßen die Ritzen der Bühnenbretter spüren kann. Aber als ich dort stand, um Kraft für meinen Tanz zu sammeln, war mir, als trüge ich ein so schweres Gewicht, daß ich nicht nur die Ritzen der Bühnenbretter, sondern sogar die Fäden in den Socken spürte. Schließlich hörte ich die Musik der Trommeln und Shamisen und das Rascheln der Gewänder, als andere Tänzerinnen an mir vorbei- und auf die Bühne huschten. An alles, was dann kam, kann ich mich nur noch undeutlich erinnern. Ich bin sicher, daß ich die Arme, den geschlossenen Fächer in der Hand, emporhob und die Knie beugte, denn das war meine Ausgangsposition. Später hörte ich keinerlei Kritik, daß ich etwa einen Einsatz verpaßt hätte, doch erinnern kann ich mich nur daran, wie ich meine eigenen Arme beobachtete und über die Sicherheit und das Gleichmaß staunte, mit denen sie sich bewegten. Ich hatte diesen Tanz viele Male geprobt, und vermutlich hatte das ausgereicht. Denn obwohl mein Verstand sich völlig abgeschottet hatte, spielte ich meine Rolle ohne Schwierigkeit und Nervosität.
Bei jeder Aufführung bis zum Ende des Monats bereitete ich mich von da an vor, indem ich mich so lange
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