Die Geisha - Memoirs of a Geisha
ganzen bemerkenswert freundlich waren. Eines Tages kam ein Trupp Amerikaner auf ihren Lastwagen vorbei. Mit den anderen Frauen unserer Nachbarschaft stand ich am Straßenrand und beobachtete sie. In meinen Gion-Jahren hatte ich mich als Bewohnerin einer besonderen Welt sehen gelernt, einer Welt, die mich von den anderen Frauen trennte, und tatsächlich hatte ich mich all die Jahre so abgeschirmt gefühlt, daß ich mich nur selten fragte, wie wohl andere Frauen lebten, sogar die Ehefrauen jener Männer, denen ich Gesellschaft leistete. Dennoch stand ich jetzt in einer zerrissenen Arbeitshose da, und die Haare hingen mir strähnig über den Rücken. Ich hatte seit mehreren Tagen nicht mehr gebadet, denn wir hatten nicht genug Brennmaterial, um öfter als ein paarmal pro Woche Wasser zu erhitzen. In den Augen der amerikanischen Soldaten, die an uns vorüberfuhren, unterschied ich mich in nichts von den anderen Frauen – und wie sollte ich auch? Wenn man keine Blätter, keine Borke und keine Wurzeln mehr hat, kann man sich dann noch als Baum bezeichnen? »Ich bin eine Bäuerin«, sagte ich mir, »und keine Geisha mehr.« Es war ein furchtbares Gefühl, meine Hände zu betrachten und zu sehen, wie rauh sie waren. Um mich von diesem Schrecken abzulenken, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Wagenladungen von Soldaten, die an uns vorüberfuhren. Waren das nicht dieselben Amerikaner, die zu hassen man uns gelehrt hatte? Die unsere Städte mit so entsetzlichen Waffen bombardiert hatten? Und jetzt fuhren sie durch unser Viertel und warfen den Kindern Schokolade zu.
Binnen eines Jahres nach der Kapitulation hatte man Herrn Ara-shino ermuntert, wieder Kimonos zu schneidern. Ich wußte von Kimonos nur, wie man sie trägt, deswegen wurde mir die Aufgabe übertragen, im Werkstattanbau die Farbbottiche zu kontrollieren, während sie kochten. Es war eine widerliche Arbeit, zum Teil, weil wir uns kein anderes Brennmaterial als tadon leisten konnten, eine Art Kohlestaub, vermischt mit Teer. Sie können sich nicht vorstellen, wie das stinkt, wenn es verbrennt! Im Lauf der Zeit zeigte mir Herrn Arashinos Ehefrau, wie man die richtigen Blätter, Stengel und Borkenstücke sammelt, um die Farbstoffe herzustellen – man möchte meinen, eine Art Beförderung. Und das wäre es gewesen, hätten einige dieser Materialien – welche, habe ich nie herausgefunden – nicht die seltsame Eigenschaft gehabt, meine Haut zu beizen. Meine zarten Tänzerinnenhände, die ich früher mit feinsten Cremes verwöhnt hatte, begannen sich nun zu pellen wie die papierähnliche Außenhaut einer Zwiebel und nahmen die Farbe von Blutergüssen an. Zu jener Zeit hatte ich – vermutlich weil ich mich so einsam fühlte – ein romantisches Verhältnis mit einem jungen Tatami-Flechter namens Inoue, der, wie ich fand, so aussah, wie der Direktor mit ungefähr zwanzig Jahren ausgesehen haben mußte: mit zarten Augenbrauen, die sich auf seiner glatten Haut wölbten, und wundervoll weichen Lippen. Ein paar Wochen lang stahl ich mich bei Nacht des öfteren lautlos in den Anbau, um ihn einzulassen. Mir wurde erst klar, wie grauenvoll meine Hände aussahen, als einmal das Feuer unter den Bottichen so hell brannte, daß wir einander sehen konnten. Nachdem Inoue einen Blick auf meine Hände geworfen hatte, wollte er sich nicht mehr von mir berühren lassen.
Um meiner Haut ein wenig Erleichterung zu verschaffen, übertrug mir Herr Arashino in diesem Sommer die Aufgabe, Tradeskantien zu sammeln. Die Tradeskantie ist eine Pflanze, mit deren Saft man Seide bemalt, bevor diese gestärkt und anschließend eingefärbt wird. Sie wachsen zumeist während der Regenzeit am Ufer von Teichen und Seen. Ich hielt dies für eine angenehme Aufgabe, daher machte ich mich, voll Vorfreude auf einen kühlen, trockenen Tag, eines Morgens im Juli mit meinem Rucksack auf den Weg, doch bald schon mußte ich entdecken, daß die Tradeskantie eine teuflisch hinterlistige Pflanze ist. Soweit ich feststellen konnte, hatte sie sich jedes Insekt im westlichen Japan zum Verbündeten gemacht. Jedesmal, wenn ich eine Handvoll Blüten abriß, wurde ich von ganzen Geschwadern von Zecken und Mücken angegriffen, und zu allem Übel trat ich auch noch auf einen widerwärtigen kleinen Frosch. Nachdem ich dann eine elende Woche lang Blüten gesammelt hatte, übernahm ich das, was ich mir als eine weitaus leichtere Aufgabe vorstellte, und füllte sie in eine Presse, um den Saft aus ihnen herauszuquetschen. Doch
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