Die Geisha - Memoirs of a Geisha
ich keinen Brief mehr!«
»Wäre mir auch lieber, wenn sie alle so sind. Warum kannst du mir nicht einfach das erzählen, was ich wissen will, zum Beispiel, wann du wieder nach Gion kommst? Jeden Monat rufe ich im Ichiriki an, um mich nach dir zu erkundigen, und jedesmal hat die Herrin die eine oder andere Ausrede. Ich dachte schon, du hättest irgendeine gräßliche Krankheit. Du bist dünner geworden, glaube ich, aber auf mich wirkst du relativ gesund. Was hält dich zurück?«
»Ich denke jeden Tag an Gion.«
»Deine Freundin Mameha ist seit über einem Jahr wieder da. Sogar Michizono – alt, wie sie ist – kam am selben Tag zurück, als Gion wiedereröffnet wurde. Aber niemand konnte mir sagen, warum Sayuri nicht zurückkehren will.«
»Ehrlich gesagt, die Entscheidung liegt nicht bei mir. Ich warte darauf, daß Mutter die Okiya wieder eröffnet. Ich möchte genauso gern nach Gion zurückkehren, wie Nobu-san mich dort wiedersehen will.«
»Dann ruf doch deine Mutter an und sag ihr, daß es langsam Zeit wird. Während der letzten sechs Monate habe ich mich in Geduld geübt. Hast du denn nicht begriffen, was ich dir in meinen Briefen gesagt habe?«
»Als Sie sagten, Sie wollten mich in Gion sehen, da dachte ich, Sie meinten, daß Sie hoffen, mich dort bald wiederzusehen.«
»Wenn ich sage, ich möchte dich in Gion sehen, meine ich, daß du deine Siebensachen packen und nach Gion zurückkehren sollst. Außerdem sehe ich wirklich nicht ein, warum du auf deine Mutter warten solltest. Wenn die noch nicht wieder da ist, ist sie strohdumm.«
»Nur wenige Menschen haben etwas Gutes über sie zu sagen, aber ich kann Ihnen versichern, daß sie alles andere als strohdumm ist. Wenn er sie richtig kennenlernen könnte, würde Nobu-san sie vielleicht sogar bewundern. Sie macht sehr gute Geschäfte, indem sie den amerikanischen Soldaten Souvenirs verkauft.«
»Die Soldaten werden nicht ewig hierbleiben. Sag ihr, dein guter Freund Nobu wünscht, daß du nach Gion zurückkehrst.« Damit nahm er ein Päckchen und warf es auf die Matten neben mir. Ohne weiteres Wort trank er dann seinen Tee und sah mich an.
»Was wirft Nobu-san da nach mir?« fragte ich ihn.
»Ein Geschenk. Mach’s auf!«
»Wenn Nobu-san mir ein Geschenk macht, muß ich zuerst mein Geschenk für ihn holen.«
Ich ging in die Zimmerecke, in der die Truhe mit meinen Habseligkeiten stand, und holte einen Fächer heraus, den ich Nobu schon sehr lange schenken wollte. Ein Fächer mag wie ein sehr einfaches Geschenk für einen Mann erscheinen, der mich vor der Fabrik gerettet hat. Aber uns Geishas sind die Fächer, die wir beim Tanz benutzen, heilig, und dieser hier war kein gewöhnlicher Tänzerinnenfächer, sondern der, den meine Lehrerin mir geschenkt hatte, als ich im Inoue-Tanzstil den shisho-Grad erreichte. Ich hatte noch nie gehört, daß sich eine Geisha von einem solchen Erinnerungsstück trennte, und genau das war der Grund, warum ich beschlossen hatte, ihm den Fächer zu schenken.
Ich wickelte den Fächer in ein Stück Baumwollstoff und ging zurück, um ihm das Päckchen zu überreichen. Als er es öffnete, war er verwirrt, was ich vorausgesehen hatte. Ich gab mir die größte Mühe, ihm zu erklären, warum ich wollte, daß er ihn bekam.
»Das ist sehr lieb von dir«, antwortete er, »aber ich bin dieser Gabe nicht würdig. Gib ihn lieber einem, der den Tanz besser zu schätzen weiß als ich.«
»Es gibt keinen außer Ihnen, dem ich den Fächer schenken würde. Er ist ein Teil von mir, und ich habe ihn Nobu-san gegeben.«
»Nun, dann bin ich dir sehr dankbar. Ich werde ihn wirklich in Ehren halten, und nun öffne dein Geschenk.«
Eingewickelt in Papier und Bindfaden und eingebettet in Schichten von Zeitungspapier lag ein ungefähr faustgroßer Steinbrocken. Beim Anblick dieses Steinbrockens war ich bestimmt ebenso verdutzt wie Nobu, als ich ihm den Fächer gab. Als ich das Ding jedoch näher betrachtete, entdeckte ich, daß es kein Stein-, sondern ein Betonbrocken war.
»Was du da in der Hand hältst, ist ein Trümmerstück von unserer Fabrik in Osaka«, erklärte mir Nobu. »Zwei von unseren vier Werken wurden zerstört. Es besteht die Gefahr, daß unser Unternehmen die nächsten paar Jahre nicht übersteht. Du siehst also, wenn du mir mit diesem Fächer ein Stück von dir geschenkt hast, habe ich dir vermutlich jetzt auch ein Stück von mir geschenkt.«
»Wenn es ein Stück von Nobu-san ist, werde ich es in Ehren halten.«
»Du sollst
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