Die Geisha - Memoirs of a Geisha
wenn Sie noch nie erlebt haben, wie der Saft einer Tradeskantie riecht… Nun ja, ich war überglücklich, als ich am Ende der Woche wieder zum Farbenkochen zurückkehren durfte.
Während dieser Jahre mußte ich sehr schwer arbeiten. Doch jeden Abend, wenn ich zu Bett ging, dachte ich an Gion. Alle Geishaviertel von Japan waren nur wenige Monate nach der Kapitulation wieder geöffnet worden, doch ich durfte nicht nach Gion zurückkehren, bis Mutter mich zu sich rief. Sie machte gute Geschäfte, indem sie den amerikanischen Soldaten Kimonos, Kunstgewerbe und japanische Schwerter verkaufte. Deswegen blieben sie und Tantchen auf dem kleinen Bauernhof westlich von Kyoto, wo sie ihr Geschäft eingerichtet hatten, während ich weiterhin bei der Familie Arashino lebte und arbeitete.
Nachdem Gion nur wenige Kilometer entfernt war, halten Sie es vermutlich für selbstverständlich, daß ich es des öfteren besuchte. Doch in den nahezu fünf Jahren, die ich außerhalb von Gion verbrachte, ging ich nur ein einziges Mal dorthin, an einem Frühlingsnachmittag etwa ein Jahr nach Kriegsende. Ich befand mich auf dem Rückweg vom Kamigyo-Kreiskrankenhaus, wo ich für den kleinen Juntaro Medikamente geholt hatte. Ich ging die Kawaramachi-Avenue bis zur Shijo entlang, dann überquerte ich von dort die Brücke nach Gion. Ich war entsetzt, wie viele Familien sich in tiefster Armut am Flußufer zusammendrängten.
In Gion erkannte ich zwar mehrere Geishas, aber sie erkannten mich natürlich nicht. Ich sprach sie nicht an, da ich das Viertel einmal vom Standpunkt einer Außenseiterin betrachten wollte. Doch ich konnte Gion kaum sehen, als ich durch die Straßen schlenderte, weil ich statt dessen geisterhafte Erinnerungen sah. Als ich am Ufer des Shirakawa-Baches entlangging, dachte ich an die vielen Nachmittage, an denen Mameha und ich dort entlanggeschlendert waren. In der Nähe stand die Bank, auf der Kürbisköpfchen und ich an dem Abend, wo ich sie um Hilfe bat, mit zwei Schalen Nudeln gesessen hatten. Nicht weit entfernt davon lag die Gasse, in der Nobu mich getadelt hatte, weil ich mir den General zum danna genommen hatte. Von dort ging ich einen halben Block bis zur Ecke der Shijo-Avenue weiter, wo ich den Laufburschen dazu gebracht hatte, die Schachteln fallen zu lassen. An all diesen Orten hatte ich das Gefühl, viele Stunden nach Vorstellungsende auf einer Bühne zu stehen, während die Stille so schwer auf dem leeren Theater lastete wie eine dichte Schneedecke. Ich ging zu unserer Okiya und starrte mit sehnsüchtigem Blick auf das schwere, eiserne Vorhängeschloß an der Tür. Als ich dort eingeschlossen war, wollte ich hinaus. Jetzt, da sich mein Leben so sehr verändert hatte und ich mich ausgesperrt fand, wollte ich wieder hinein. Und doch war ich inzwischen eine erwachsene Frau, der es, wenn sie so wollte, freistand, Gion auf der Stelle zu verlassen und nie wieder zurückzukehren.
Als ich mir eines bitterkalten Nachmittags im November, drei Jahre nach Kriegsende, über den Farbbottichen im Anbau die Hände wärmte, kam Frau Arashino herunter, um mir zu sagen, daß mich jemand zu sprechen wünsche. An ihrer Miene erkannte ich, daß der Besuch nicht etwa eine der Frauen aus dem Viertel war. Doch können Sie sich meine Überraschung vorstellen, als ich oben an der Treppe ankam und Nobu sah? Er saß bei Herrn Arashino in der Werkstatt und hielt eine leere Teetasse in der Hand, als hätten die beiden dort bereits einige Zeit geplaudert. Als Herr Arashino mich sah, erhob er sich.
»Ich habe noch im Nebenzimmer zu tun, Nobu-san«, erklärte er. »Ihr beide könnt gern hierbleiben und miteinander reden. Ich freue mich sehr, daß du uns besuchen kommst!«
»Mach dir nichts vor, Arashino«, gab Nobu zurück. »Es ist Sayuri, die ich besuchen will.«
Ich fand es sehr unhöflich von Nobu, so etwas zu sagen, doch Arashino lachte nur und zog die Werkstattür hinter sich zu.
»Ich hatte den Eindruck, daß sich die ganze Welt verändert hätte«, sagte ich. »Aber das kann nicht sein, denn mindestens Nobu-san ist immer noch der alte.«
»Ich werde mich niemals verändern«, gab er zurück. »Aber ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu plaudern. Ich will wissen, was mit dir los ist.«
»Gar nichts ist mit mir los. Hat Nobu-san denn meine Briefe nicht erhalten?«
»Deine Briefe sind wie Gedichte. Nie sprichst du über etwas anderes als ›das schöne, tröpfelnde Wasser‹ und ähnlichen Unsinn.«
»Aber Nobu-san! Ihnen schreibe
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